Die Reifeprüfung.

Sie war Witwe geworden, lange bevor sie Großmutter wurde, und heute fragt sie sich, ob die Witwe und die Großmutter wohl die Frau in ihr vertrieben haben. Sie schaut einmal pro Monat Die Reifeprüfung, obwohl sie den Film gar nicht sonderlich mag. Ihre Tochter versichert ihr manchmal, sie sehe gut aus für ihr Alter, und … Weiterlesen Die Reifeprüfung.

Fernsehabend.

Manchmal vergisst sie, wie groß seine Hände sind. Riesige Pranken, fleischig und breit, unverhältnismäßig groß im Vergleich zum restlichen Körper. Sie hat ihren Vater schon immer für seine enormen Hände bewundert. Vielleicht tut sie es noch immer, aber es fühlt sich anders an als früher. Die Hände der Mutter sind dagegen verschwindend klein, doch sie … Weiterlesen Fernsehabend.

Die Antwort.

Er war zärtlicher als andere, weniger egoistisch, das war angenehm, und obschon es nicht sonderlich ungestüm oder ekstatisch war, hatte sie einen Orgasmus, den ersten seit geraumer Zeit. Jetzt liegt er neben ihr und schaut sie an. Sie weicht seinem Blick aus. Das kann sie gut. Woher kommt die Traurigkeit in deinen Augen? Seine Frage … Weiterlesen Die Antwort.

Die Mausefalle.

Sie kann nicht schlafen, wie so oft in letzter Zeit. Ein kühler Wind weht durch das Kippfenster ins Innere des Schlafzimmers, und als sie die Bettdecke zurückschlägt und aufsteht, zittert ihr Körper kurz. Sie geht nach unten in die Küche, schaltet die kleine Lampe ein, gießt ein wenig Wein in eine Tasse und setzt sich … Weiterlesen Die Mausefalle.

Richtung.

Sie liegt auf ihrem Rücken und auf ihm, er liegt unter ihr und auf dem Bett. Ihre Augen sind geschlossen, es wäre sowieso zu dunkel, um etwas zu erkennen, und dennoch blicken sie in die gleiche Richtung. Seine Hände gleiten über ihren Körper, energisch und forsch, eine ungewohnte Vehemenz, die von Lust und Verlangen erzählt … Weiterlesen Richtung.

Schrauben.

Sie würde die Schrauben am Türschloss wieder festdrehen müssen. Es war ein altes Haus, und wenn jeweils eine Tür zu heftig zugeknallt wurde, lösten sich die Schrauben aus dem Gewinde. Seine Worte hingen noch im Raum, wie der hartnäckige Geruch von faulenden Äpfeln. Ich gehe. Sie wusste nicht, wohin er zu gehen gedachte, was er … Weiterlesen Schrauben.

Zwei streifen sich.

Eigentlich ist er ja nichts anderes als ein Gegenstand, sagt sie und meint ihren Körper. Ein Ding, ein Gefäß, in dem ein Mensch steckt. Und in diesem Gefäß stecke nun mal ich. Er ist ein Instrument, wie ein Cello. Ja, mein Körper ist mein Cello. Und ich spiele damit. Sie hakt ihren BH auf, lässt … Weiterlesen Zwei streifen sich.

Zwei Körper sind.

Zwei Körper sind gläsern, hart und weich zugleich, wie fragile Gebilde, die nach Sorgfalt verlangen und dennoch unzerstörbar scheinen. Jede Berührung ist eine Bekundung, jede Bewegung ist mit Aussage aufgeladen, jeder Kuss löst die Zeit aus dem Kontinuum. Zwei Körper sind Instrumente, das schwere Atmen drängt alle anderen Geräusche aus der Wahrnehmbarkeit und verbleibt als … Weiterlesen Zwei Körper sind.

Borkenkäfer.

Das Prinzip der Nachhaltigkeit hat seine Wurzeln in der Forstwirtschaft. Dabei wird dem Wald stets nur so viel Holz entnommen, wie nachwachsen kann. Somit kann er sich immer wieder erholen und wird nie vollkommen abgeholzt. Heute wird der Begriff inflationär und in vielfältiger Weise verwendet, die Definition ist schwammig geworden, hat sich jedoch nicht grundlegend … Weiterlesen Borkenkäfer.

Sie sehen alles.

Sie sind hunderttausend Jahre alt und neu geboren, immer wieder. Sie liegt auf ihm, ihr Rücken auf seinem Bauch, sie formen eine Einheit, und wie seine Hände über ihre Haut gleiten, drängend, verlangend, so berührt er auch sich selbst, in ihr. Es ist vollkommen dunkel, doch sie sehen alles, sie malen Bilder mit ihren Fingern … Weiterlesen Sie sehen alles.

Dynamit.

Er ist explodiert. Seit ihrer Hochzeit vor acht Jahren hat er Bier getrunken und gesalzene Erdnüsse gegessen. Nun ist er explodiert. Irgendwie. Jemand hat ihm eine Dynamitstange in den Arsch geschoben und die Lunte angezündet. Der Knall war überraschend leise. Jetzt hört sie sein Ächzen. Er sitzt noch immer im Wohnzimmer und sieht fern, zieht … Weiterlesen Dynamit.

Vier Hunde.

Sie sitzen nebeneinander, wie ein altes Paar, das sich im Fließen der Zeit die Liebe bewahrt hat, und vielleicht sind sie das, sind sich in Vertrauen verbunden. Es ist, wie es immer war, sie redet und er hört zu, er legt hin und wieder den Kopf schräg, doch er sagt nichts. Kein Werten, kein Bewerten, … Weiterlesen Vier Hunde.

Trigonometrie.

Der A. mag den B. sehr gerne, sie bezeichnen sich als Freunde, als gute Freunde, und auch wenn sie als Männer nicht von Zuneigung sprechen mögen, ist das, was sie füreinander empfinden, genau das, was man gemeinhin unter Zuneigung versteht, und wenn man den A. mit der Frage überrascht, wer in seinem Leben besonders wichtig … Weiterlesen Trigonometrie.

Wartburg.

Er steht alleine am Rand der Autofähre, die grummelnd über den Bodensee gleitet. Es ist kalt und nass, vielleicht November oder Dezember, vielleicht auch Februar. Es ist egal, wie der Monat heißt, irgendwann spielen die Namen keine Rolle mehr. Joseph ist der einzige Passagier auf der Fähre. Da sind er und sein Wartburg und vielleicht … Weiterlesen Wartburg.

Chiaroscuro.

Da ist dieses Bild, wenn er die Augen schließt, ein Bild von ihr, ein Bild, das keine Flächen kennt, ein Bild mit mehr als zwei Dimensionen, da ist nicht nur Chiaroscuro, da ist mehr als nur die starke Kontrastierung von Hell und Dunkel, da ist die plastische Wirkung eines Bildes, er schließt die Augen und … Weiterlesen Chiaroscuro.

Schwimmer.

Das Wasser ist kalt. Der Ozean ist zu groß und zu tief, als dass es jemals warm genug werden könnte. Sie weiß das und er weiß das und dennoch frieren sie. Daran kann man nicht viel ändern. Es wird angenehmer, wenn man sich bewegt. Irgendwie wird dann die Heizung unter der Haut aufgedreht. Schwimm mit … Weiterlesen Schwimmer.

Nicht bei Bewusstsein.

Der Kopf verliert sein Gewicht, verliert seine Masse, ein hohles Konstrukt ohne Druck und Ballast, die Ströme erstarren, die Zeit, sie bleibt stehen, und die Zeit, sie läuft weiter, sie treibt auseinander und reißt kleine Spalten ins Gefüge, schmale Ritzen, in denen alles verschwindet, wie Staub zwischen Dielen, und das gesamte Bewusstsein, über welches wir … Weiterlesen Nicht bei Bewusstsein.

Der Anfang am Ende.

Ein leises Klopfen an der Tür, in das Nichts vor dem Fenster dringt ein Grollen und Blinken. Das Klopfen wird lauter, doch sie bleiben still, nahezu reglos auf einem Bett, das ebenso gut ein Boot auf der Oberfläche eines schlafenden Ozeans sein könnte. Eine kaum hörbare Stimme ertönt. Bist du wach? Ja, flüstert eine zweite … Weiterlesen Der Anfang am Ende.

Das Wir.

Wir sind aufeinander, wir sind untereinander, wir sind nebeneinander, wir sind miteinander, wir sind ineinander, ergriffen und ergreifend, verschlungen und verschlingend, in der Mitte aller Dinge, der einzige warme Punkt im erstarrten Universum, wir schließen die Augen und sehen im Dunkeln, wir öffnen die Münder, wir trinken und sind trunken, ein Blinken im Augenwinkel, ein … Weiterlesen Das Wir.