Seine Freundin und die Freundin seiner Freundin sind etwa gleich groß, doch ansonsten sehen sie ganz anders aus. Die Freundin seiner Freundin hat eine sehr hohe Stimme, dünn und schrill, mitunter ein wenig zittrig, und vielleicht spricht sie deshalb nur sporadisch. Seine Freundin hingegen ist sehr redselig, und die warme, tiefe Stimme klingt nach alten Eichenfässern und rauchigen Kneipen. Er liebt diese Stimme, sogar dann, wenn sie unschöne Worte trägt.
Seine Freundin, die Freundin seiner Freundin und er sitzen auf dem Teppichboden eines Zimmers, trinken Tee aus kleinen Tassen und sprechen kaum ein Wort. Sie spielen ein Spiel. Man schreibt einen Satz auf ein Blatt Papier und gibt es dann weiter zur nächsten Person, die den nächsten Satz schreibt. Mit der Zeit entsteht eine Kette von Sätzen, und manchmal ergibt sich daraus sogar eine Geschichte, wenn auch selten eine gute.
Die kleine Lampe auf dem Beistelltisch bemüht sich, den Raum mit Licht zu füllen, doch es bleibt diffus und schwach, aber durchaus angenehm, warm und gemütlich. Sie sind barfuß, und während seine Freundin und die Freundin seiner Freundin ihre Sätze auf den Zettel schreiben, versucht er, nicht allzu auffällig auf die nackten Füße zu starren. Er mag Füße von Frauen. Es ist kein Fetisch oder dergleichen. Er findet sie einfach schön. Die Füße der Freundin seiner Freundin sind sehr hübsch. Die Füße seiner Freundin kennt er bereits.
Er kommt nach seiner Freundin an die Reihe und gibt den Zettel dann an die Freundin seiner Freundin weiter. Schon bei der zweiten Runde stellt er fest, dass die Handschrift der Freundin seiner Freundin eindeutig schöner ist als die Handschrift seiner Freundin, sorgsamer und eleganter, liebevoller, irgendwie. Seine Freundin schreibt eher grobschlächtig. Das ist eigentlich nicht wichtig, aber es fällt ihm auf, und er wundert sich.
Immer mehr sind es aber nicht die Schriftbilder, die ihn verblüffen, sondern die Sätze, die seine Freundin und die Freundin seiner Freundin zur gemeinsamen Geschichte beitragen. Seine Freundin schreibt triviale Dinge auf ziemlich einfallslose Weise, streut manchmal gezwungen schmutzige Wörter ein, welche die Sätze aber nicht vor der Banalität retten können, die der Geschichte immer wieder Sand ins Getriebe und Knebel vor die Füße wirft.
Die Freundin seiner Freundin hingegen lässt mit ihren schönen Buchstaben neue Welten entstehen, voller Leben und Fantasie, ein buntes und beinahe surreales Universum aus Ideen und intelligenten Gedanken, ausschweifend und zärtlich zugleich. Mit jeder Runde fesseln ihn die Worte der Freundin seiner Freundin mehr und mehr. Und mit jeder Runde schwindet sein Interesse an den Dingen, die seine Freundin auf das Papier kritzelt.
Irgendwann sind alle Linien auf dem Papier gefüllt, Satz reiht sich an Satz, und seine Freundin liest den Text vor. Während ihre warme, tiefe Stimme in den Raum fließt, geht sein Blick von den Lippen seiner Freundin zu den nackten Füssen der Freundin seiner Freundin und heftet sich schließlich an eine Faser im Teppich, die sich merkwürdig quer stellt. Nach einiger Zeit verstummt seine Freundin, das letzte Wort ist gesprochen und hängt noch einige Sekunden im Zimmer. Dann ist die Geschichte zu Ende.

*lächel*, oh ja, ich kann es mir vorstellen, was da passiert, was in ihm vorgeht, was er erkennt, seine Zuneigung zur Freundin wird eigentlich nicht infrage gestellt, aber da gibt es diese interessanten, liebenswerten Züge an der Freundin der Freundin und wer weiß, wie sich seine Gedanken nun weiterentwickeln… doch eigentlich sind sie mit dem letzten Wort der Geschichte schon erzählt.
LikeGefällt 1 Person
Ja, manchmal können die Gedanken keine Wege mehr gehen, wenn die Geschichte bereits ihr Ende erreicht hat… Herzlichen Dank auch an dieser Stelle fürs Lesen und für deine Worte!
LikeGefällt 1 Person