Wurst.

Der kleine Vogel war wohl aus dem Nest gefallen. Er lag unter einem Baum auf dem Asphalt und zitterte, konnte sich kaum bewegen. Sie kniete sich neben ihn hin, redete auf ihn ein, doch Worte konnten den Vogel nicht retten, das wusste sie. Also nahm sie ihn hoch und trug ihn nach Hause, baute ihm … Weiterlesen Wurst.

Der Hauch des Todes.

Er habe Mundgeruch, murmelt sie mit belegter Stimme, ein bisschen, oder vielleicht auch ein bisschen mehr als nur ein bisschen. Mehr sagt sie nicht, sie schläft schon halb, als sie ihm diese Erkenntnis mitteilt, und einige Sekunden später schläft sie wohl ganz, denn ihr Atmen verändert sich, wird regelmäßiger. Eigentlich ist es nett, dass seine … Weiterlesen Der Hauch des Todes.

Endlich.

Als es endlich zu Ende geht, ist er erstaunt, dass es so lange gedauert hat, und meint damit sowohl das Sterben als auch das Leben. Er hat sich zuvor nur selten Gedanken über die Zeit gemacht, doch jetzt, an ihrem Ende, fragt er sich, was sie eigentlich bedeutet, welchen Wert sie hat, welches Gewicht. Könnte … Weiterlesen Endlich.

Landwirtschaft und Liebe.

Bert liest eine Geschichte von einem, der eine Geschichte liest, und in dieser Geschichte geht es um Landwirtschaft, doch Bert hat keine Ahnung von Landwirtschaft, Agrarwissenschaften sind ihm völlig fremd, und der einzige Bauer, den er kennt, kennt er noch von früher, aus der Schule, damals war er ein stämmiger Junge mit einem dicken Hals, … Weiterlesen Landwirtschaft und Liebe.

Blumenmädchen.

Das Mädchen hält die Blumen in der Hand und die Hand ins Wasser. Wo es auch geht und steht, wohin es sich auch verirrt und treiben lässt, es hält die Blumen ins Wasser; an kleinen Seen und unentwegt zerrenden Flüssen, an gurgelnden Bächen, an jedem Brunnen. Es hat die Blumen nicht gepflückt, hat die Stiele … Weiterlesen Blumenmädchen.

Zwei schweigen.

Am Straßenrand hängt ein junger Mann an einem Kreuz, die Arme ausgebreitet, den Kopf leicht abgewinkelt. An den Handflächen ist das Blut eingetrocknet, dunkle Flecken umranden die Stellen, an denen man ihm die Nägel durch das Fleisch getrieben hat. Sein Gesicht sieht traurig aus. Sie steigt von ihrem Fahrrad, lehnt es an die Leitplanke und … Weiterlesen Zwei schweigen.

Placido Domingo.

Der alte Mann hört im Radio, dass Placido Domingo Frauen belästigt haben soll, und er kennt Placido Domingo eigentlich nicht, er kennt Placido Domingo nur von seiner Frau, denn sie mochte Placido Domingo, mochte seine Stimme, hörte ihn häufig singen, und der alte Mann konnte mit diesen Klängen nie viel anfangen, doch sie vertrieben zumindest … Weiterlesen Placido Domingo.

Kaleidoskop-Augen.

Der Himmel über der Autobahn sieht aus wie das Gemälde eines Künstlers, der halluzinogene Drogen konsumiert hat, wie das Fell einer unbekannten Raubkatze, dunkelbunt und wild. Der Himmel, er zieht ihren Blick an, und eigentlich müsste Evelyn auf die Straße schauen, müsste fokussiert und konzentriert bleiben, doch immer wieder dreht sich der Kopf, um das … Weiterlesen Kaleidoskop-Augen.

Ein Steinwurf.

Dieser Stein war schon vor mir da, denkt er, und wenn ich dereinst nicht mehr existieren werde, dann wird, ach, egal, er denkt nicht mehr weiter, mag sich nicht länger vor Augen führen, dass sein Dasein irgendwann nicht mehr da sein wird, dass es enden wird, dass sein Tod womöglich nur einen Steinwurf entfernt in … Weiterlesen Ein Steinwurf.

Entfernt.

Bis zum nächsten Mal, hat man gesagt, bis bald, bis irgendwann, doch irgendwann kam nie, das nächste Mal, es blieb aus, und nun entfällt es endgültig. Man hätte Gelegenheiten gehabt, hätte sie nur ergreifen müssen, doch keiner von beiden regte oder bewegte sich, und einer von beiden kann es nun nicht mehr. Man nannte sich … Weiterlesen Entfernt.

Fliegenschiss.

Mira hängt die Vorhänge ab. Sie hatte es schon lange vorgehabt, aber immer wieder hinausgezögert. Verdammte Prokrastination. Die Vorhänge hingen schon da, als Mira einzog, sie gehörten der alten Frau, die vor ihr in der Wohnung lebte. Sie war hier gestorben, die alte Frau, lag wahrscheinlich schon ziemlich lange tot auf dem Boden, bevor man … Weiterlesen Fliegenschiss.

Eine kleine Geschichte (#4).

Diese Geschichte, sie handelt von Johanna, einer Frau, die viele Dinge wusste, und die meisten dieser vielen Dinge, die sie wusste, hatte sie von ihrem Vater gelernt. Nachdem ihre Mutter sich in einen irischen Straßenmusiker verliebt und das Weite gesucht hatte, waren Johanna und ihr Vater die kleinste Variante einer Familie geworden, und obwohl sich … Weiterlesen Eine kleine Geschichte (#4).

Knoten.

Nach dem Duschen stellt sich Emma vor den Spiegel. Sie führt ihre Nase zu ihrem Unterarm und atmet ein. Sie mag den Duft des Duschgels auf ihrer Haut, mag die Frische und Sauberkeit, für die es steht. Dann betrachtet sie ihren Körper. Sie tut das viel zu selten, sollte doch eigentlich häufiger hinschauen, genauer hinschauen, … Weiterlesen Knoten.

Opossum.

Es existieren mehr Möglichkeiten als Tatsachen, da ist mehr Fantasie als Realität, und die Welt, die sein könnte, ist ungleich bunter und reicher als die Welt, die ist. Luisa weiß nicht immer, wo die Grenzen liegen. Aber vielleicht ist es auch nicht wichtig, sie mit Bestimmtheit zu ziehen. Manchmal legt sie sich auf den Boden, … Weiterlesen Opossum.

Es kommt.

Leise rieselt der Schnee. Die Welt ist so dicht eingehüllt, dass fast nichts mehr klingt, nur in der Ferne glaubt sie das Brummen eines Schneeräumungsfahrzeuges wahrzunehmen. Sie schließt das Badezimmerfenster wieder und stellt sich vor den Spiegel, drückt sich ein wenig Körperlotion in die Handfläche und beginnt, ihre Haut einzureiben. Sie mag das, mag diese … Weiterlesen Es kommt.

Eigentlich ein Held.

Eigentlich war Erich ein guter Mensch. Bei seinem Begräbnis sagte jemand, dass der Welt nun ein helles Licht fehle, und mehrere Leute nickten zustimmend. Erich war tatsächlich sehr engagiert. Er half Bekannten und Freunden beim Umzug, spendete jedes Jahr einen gewissen Betrag an das Rote Kreuz, er half in Vereinen mit, wenn es nötig war, … Weiterlesen Eigentlich ein Held.

Eine kleine Geschichte (#2).

Diese Geschichte, sie handelt von Jakob, einem Mann, der vieles zu erzählen gehabt hätte, aber dennoch meistens zu schweigen pflegte. Als Jude überlebte er das Konzentrationslager der Nazis nur knapp. Seine Eltern und Geschwister jedoch wurden umgebracht. Trotz der erdrückenden Trauer und Traurigkeit zog Jakob nach dem Krieg in die lauten und lärmigen Städte, nach … Weiterlesen Eine kleine Geschichte (#2).

21A.

Dana steigt in ein Flugzeug und schluckt einige Male leer, bis der Hals schmerzt. Sie hat vor nichts und niemandem so große Angst wie vor dem Fliegen. Die Angst hockt nicht nur in ihrem Kopf, sondern breitet sich im ganzen Körper aus, fließt in alle Glieder. Nachdem sie sich auf ihren Platz mit der Nummer … Weiterlesen 21A.

Hummel und Pinguin.

Jemand versucht, eine herannahende Hummel fortzujagen, und Eva sagt, dass eine Hummel eigentlich gar nicht fliegen können dürfte, bei Anwendung der physikalischen Gesetze und in Anbetracht von Körpergewicht und Flügelspannweite müsste ihr das Fliegen unmöglich sein. Trotzdem fliegt die Hummel, sagt Eva. Der triumphierende Ausdruck auf ihrem Gesicht mutet an, als hätte sie soeben alle … Weiterlesen Hummel und Pinguin.