Die Verkabelung.

Sie wohnt in einem gefährlichen Haus. Da sind morsche Balken, knarrende Dielen. Da sind Löcher im Dach und kleine Ritzen in der Fassade, durch die der Wind pfeift. Doch vor allem ist da die Verkabelung. Die elektrischen Installationen sind nicht sicher. Sie sind alt und brüchig. Obwohl sie die Kabel nicht sehen kann, weil sie … Weiterlesen Die Verkabelung.

Gregoria ist verärgert.

Gregoria ist verärgert, sie ist wahrlich verärgert, nicht immer, aber doch ziemlich häufig, sehr häufig sogar, denn das Wort ziemlich ist ziemlich relativierend, fast so relativierend wie das Wort relativ, und Gregoria ist nicht relativ häufig verärgert, auch nicht ziemlich häufig verärgert, sondern sehr häufig verärgert, sie ist auch verärgert über Wörter wie ziemlich und … Weiterlesen Gregoria ist verärgert.

Zum Glück.

Man sagt, dass Glück und Unglück nahe beieinander liegen, somit kann man Glück und Unglück als Nachbarn verstehen, kann sich ein überschaubares Einfamilienhausquartier vorstellen, und in einem der Häuser wohnt das Glück und im Haus daneben wohnt das Unglück. Nun geht in der Nähe dieses Einfamilienhausquartiers ein Kind ins Schwimmbad, überschätzt seine Schwimmfähigkeiten und ertrinkt … Weiterlesen Zum Glück.

Atomar.

Draußen vor dem Fenster zieht ein Atomkraftwerk vorüber. Der weiße Dampf steigt in den blauen Himmel, langsam und seltsam träge, als wäre er schwer und plump. Der Rest der Welt wirkt neben dem mächtigen Gebilde verschwindend klein, ordnet sich der Größe der Kühltürme unter wie kleine Insekten einer riesigen Königin. Es scheint unmöglich, ein Atomkraftwerk … Weiterlesen Atomar.

Undank.

Die ältere Dame sitzt auf einer Parkbank und sagt, dass ihr Hals so trocken sei und sie großen Durst verspüre, jedoch ihren Geldbeutel zu Hause vergessen habe und sich nichts kaufen könne. Sie sieht tatsächlich durstig aus, die Haut wirkt seltsam verdorrt, also beschließt man, zu handeln. Man kauft im nahen Lebensmittelladen eine Flasche Mineralwasser … Weiterlesen Undank.

Werner Huber hat genug.

Ich habe genug, ruft er, und er tut es laut, mit einem metallischen, schneidenden Klang in der Stimme. Seine Botschaft durchbricht die träge Stille, die in den Räumen der Pflegestation liegt, hallt von den zumeist kahlen Wänden zurück. Kurz ist das Klappern von Geschirr zu hören, dann wieder der Ausruf. Ich habe genug! Es ist … Weiterlesen Werner Huber hat genug.

Wollen müssen.

Man muss nur wollen, sagt eine Person, die Sofia kennt, also nur rudimentär kennt, eine Peripherbekanntschaft sozusagen. Sofia erinnert sich nur an guten Tagen an den Vornamen dieser Person, und heute will ihr der Vorname nicht einfallen. Sie spielt das Alphabet durch, um so vielleicht herauszufinden, mit welchem Buchstaben der Vorname beginnt, aber sie gelangt … Weiterlesen Wollen müssen.

Frau Elmer.

Jaja, wahrscheinlich war ich ein kleines bisschen verliebt in die Frau Elmer, denn die Frau Elmer kannte alle Bücher in der Bibliothek, wirklich alle, denn über jedes einzelne Buch, das ich auslieh, wusste sie bestens Bescheid, wusste so gut Bescheid, wie man nur Bescheid wissen kann, wenn man ein Buch auch tatsächlich gelesen hat, und … Weiterlesen Frau Elmer.

Der dreibeinige Hund.

Sie erinnert sich nicht an den Hund. Den Hund hat sie nie gesehen, nicht wirklich. Sie erinnert sich an das Bild des Hundes, an eine Schwarz-Weiß-Fotografie. Diese Fotografie hat sie gesehen, tatsächlich. Doch es ist lange her. Der Hund war nicht klein und auch nicht groß, weder Dackel noch Schäferhund. Sie hat keine Ahnung von … Weiterlesen Der dreibeinige Hund.

Widersinn.

Manchmal sieht sie ein einzelnes Mauerstück auf einer weiten Wiese, ganz für sich, ohne Anbindung, fern von jeglichen Bauten. Manchmal steht sie im Wald und betrachtet die Bäume, die allesamt aufrecht dastehen, nebeneinander aufgereiht wie brave Soldaten, nur ein Baum liegt darnieder, gefällt vom letzten Sturm. Manchmal sitzt sie allein auf ihrem blauen Sofa im … Weiterlesen Widersinn.

Ihr Problem.

Ihr Problem ist, dass sie im Winter immer den warmen Sommer herbeisehnt und im Sommer stets die Kühle und Frische und Stille des Winters vermisst. Ihr Problem ist, dass sie Herbst und Frühling nur als Übergangsstadien betrachtet, als Brachland zwischen den Zeiten. Ihr Problem ist, dass sie dort, wo sie steht, meistens einen Schritt neben … Weiterlesen Ihr Problem.

Der unermessliche Reichtum.

Ankündigung Am Samstag, 8. Januar, wird bei der mächtigen Ulme auf dem großen Feld am Dorfrand etwas Außergewöhnliches geschehen. Jede Person, die teilnimmt, wird fürstlich belohnt werden und unermesslichen Reichtum nach Hause nehmen. Mehr wird nicht verraten. *** Die kleine Karte, die eines Tages in den Briefkästen aller Haushalte des Dorfes lag, wirkte reichlich unscheinbar. … Weiterlesen Der unermessliche Reichtum.

Jussi und Liisa und Werner – Teil 3: Werner.

Er sei etwas eigensinnig, aber ein guter Mensch, hatte Liisa gemeint, und zumindest beim ersten Teil hatte sie Recht behalten. Am frühen Nachmittag war Onkel Risto mit seinem alten Volvo in Büsingen eingetroffen, hatte Liisa umarmt und Werner die Hand geschüttelt, und jetzt sitzen die beiden Männer in der Sauna, die Werner gebaut hatte, um … Weiterlesen Jussi und Liisa und Werner – Teil 3: Werner.

Jussi und Liisa und Werner – Teil 2: Liisa.

Hätte sie doch niemals damit angefangen. Oder hätte sie doch gleich nach dem Anfangen wieder aufgehört. Hätte sie doch auf ihre innere Stimme gehört, also auf jene, die ihr gesagt hatte, sie solle aufhören, nicht auf jene, die sie aufgemuntert hatte, durchzuhalten und weiterzumachen. Hätte sie doch den einfachen Weg genommen, den Weg des geringsten … Weiterlesen Jussi und Liisa und Werner – Teil 2: Liisa.

Jussi und Liisa und Werner – Teil 1: Jussi.

Er hatte nicht damit gerechnet, hatte es nicht erwartet, hatte nicht einmal mit dem Gedanken gespielt, schon allein deshalb, weil Gedanken kein Spielzeug sind, jedenfalls war die Überraschung groß, als er es erkannte, und einen kurzen Moment lang blieb ihm der Atem stehen, und hätte er gerade Kaugummi gekaut, wäre ihm der Kaugummi wohl vor … Weiterlesen Jussi und Liisa und Werner – Teil 1: Jussi.

Ein sich die Haare raufendes Nein.

Es ist wichtig, dass man darüber redet. Es ist wichtig, dass man die Dinge ausspricht, sie diskutiert. Es ist wichtig, dass man sich auf die Meinung des Gegenübers einlässt und sie mit der eigenen vergleicht. Dass man sich auf die eigenen Argumente berufen kann, ohne anderslautenden Wortmeldungen gleich die Existenzberechtigung abzusprechen. Es ist wichtig, dass … Weiterlesen Ein sich die Haare raufendes Nein.

Kopf hoch.

Lach doch mal, hat er gesagt. Komm schon, hat er gesagt. Schau doch nicht so grimmig, hat er gesagt. Sie hat nichts gesagt, sondern nur eine Stelle auf dem Parkettboden gemustert, die drei Astlöcher, die sich zueinander fügen und an ein Gesicht erinnern, das Gesicht eines erstaunten Gespenstes vielleicht. Nicht traurig sein, hat er gesagt. … Weiterlesen Kopf hoch.

Kunst.

In einem großen und karg eingerichteten Raum hängt ein Mann ein weißes Leinentuch über einen Kleiderständer und nennt es Kunst. Er lädt einige Menschen ein, die er kennt, und diese laden einige Menschen ein, die er nicht kennt, und dann stehen diese Menschen im großen und karg eingerichteten Raum und bilden einen Kreis um das … Weiterlesen Kunst.

Wurst.

Der kleine Vogel war wohl aus dem Nest gefallen. Er lag unter einem Baum auf dem Asphalt und zitterte, konnte sich kaum bewegen. Sie kniete sich neben ihn hin, redete auf ihn ein, doch Worte konnten den Vogel nicht retten, das wusste sie. Also nahm sie ihn hoch und trug ihn nach Hause, baute ihm … Weiterlesen Wurst.