Die Verkabelung.

Sie wohnt in einem gefährlichen Haus. Da sind morsche Balken, knarrende Dielen. Da sind Löcher im Dach und kleine Ritzen in der Fassade, durch die der Wind pfeift. Doch vor allem ist da die Verkabelung. Die elektrischen Installationen sind nicht sicher. Sie sind alt und brüchig. Obwohl sie die Kabel nicht sehen kann, weil sie … Weiterlesen Die Verkabelung.

Sieben Sekunden.

Die Zeit platzt bisweilen aus ihren Nähten. Von den vierundzwanzig Stunden, die den Rhythmus ihres Daseins strukturieren, kann die Frau zumeist nur deren vier oder fünf entbehren, um sich in ihrem lieblosen Schlafzimmer einen lieblos gezimmerten Schlaf zu gönnen. Die übrigen Stundenbruchteile sind gefüllt mit den Dingen des Alltags, mit Druck und Erwartungen, von anderen … Weiterlesen Sieben Sekunden.

Wider die Klarheit.

Der Wein ist günstig, aber nicht billig. Darauf legt sie Wert. Sie trinkt keinen Fusel, würde nie Fusel trinken, will den Wein nicht als bloßes Mittel zum Zweck verstehen. Doch dieses Präzisieren und Insistieren ist eigentlich haltlos. Sie muss niemandem Rechenschaft ablegen, nur sich selbst, und das kommt am Ende aufs Gleiche heraus. Obwohl es … Weiterlesen Wider die Klarheit.

Ein altes, müdes Tier.

Die Welt flackert, eine Bildstörung, flüchtige Irrlichter in der Dämmerung. Dein rechtes Auge, es zuckt wieder. Das Zucken gehört zu dir wie deine Stimme, dein Gang, dein Schniefen, wenn du erkältet bist. Du streichst dir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, doch sie fällt sofort zurück. Du versuchst es nochmals. Scheiterst erneut. Also gibst du auf. … Weiterlesen Ein altes, müdes Tier.

Die helle Seite.

Ihre Finger gleiten über die weiche Oberfläche, schiebend und drückend, tastend und streichelnd. Sie fertigt kleine Figuren aus schwarzer Knetmasse, schmale, feingliedrige, geschlechtslose Wesen, mit ähnlichen Proportionen und minimalen Unterschieden in Körperhaltung und Ausdruck. Sie stellt die Figuren auf ein langes Regalbrett an der Wand, eine neben die andere; eine schweigende Prozession der Gesichtslosen, eine … Weiterlesen Die helle Seite.

Sie ist.

Ich bin eine 25-jährige Frau. Nein, ich bin eine 39-jährige Frau. Nein, ich bin ein kleiner Junge, der im Körper einer 39-jährigen Frau wohnt. Nein, ich bin eine 52-jährige Frau, die sich vorstellt, ein kleiner Junge zu sein, der im Körper einer 39-jährigen Frau wohnt, die gerne eine 25-jährige Frau wäre. Ich bin ziemlich verwirrt. … Weiterlesen Sie ist.

Der dreibeinige Hund.

Sie erinnert sich nicht an den Hund. Den Hund hat sie nie gesehen, nicht wirklich. Sie erinnert sich an das Bild des Hundes, an eine Schwarz-Weiß-Fotografie. Diese Fotografie hat sie gesehen, tatsächlich. Doch es ist lange her. Der Hund war nicht klein und auch nicht groß, weder Dackel noch Schäferhund. Sie hat keine Ahnung von … Weiterlesen Der dreibeinige Hund.

Widersinn.

Manchmal sieht sie ein einzelnes Mauerstück auf einer weiten Wiese, ganz für sich, ohne Anbindung, fern von jeglichen Bauten. Manchmal steht sie im Wald und betrachtet die Bäume, die allesamt aufrecht dastehen, nebeneinander aufgereiht wie brave Soldaten, nur ein Baum liegt darnieder, gefällt vom letzten Sturm. Manchmal sitzt sie allein auf ihrem blauen Sofa im … Weiterlesen Widersinn.

Da sein.

Sie ist immer da. Wenn das Kind mit dem Rad hinfällt und sich das Knie blutig schrammt, ist sie da. Wenn die Heizung ausfällt und der Handwerker kommt, ist sie da. Wenn der Mann betrunken heimkehrt, ist sie da. Wenn die Nachbarin verreist und die Katze gefüttert werden muss, ist sie da. Wenn irgendwo Wut … Weiterlesen Da sein.

Die Wölfin.

Draußen heulen die Wölfe. Sie bohrt in der Nase. Nicht zwanghaft, eher beiläufig. Zwanghaftes Nasenbohren wird als Rhinotillexomanie bezeichnet, ein suchtartiges Verhalten mit Krankheitswert, zumindest sagte das einst ihr Onkel, und ihr Onkel musste es wissen, schließlich war er Psychiater. Sie hat keine Ahnung, warum sie sich noch an den Begriff Rhinotillexomanie erinnert, er ist … Weiterlesen Die Wölfin.

Asbest.

Du zündest eine Kerze an. Die brennende Kerze, sie dient nicht dem Zweck, Licht zu spenden oder Wärme. Du magst lediglich die Stimmung, die sie erzeugt, doch darüber hinaus wohnt ihr keinerlei überhöhte Symbolik inne, sie soll an niemanden erinnern, und dennoch erinnert sie dich an jemanden. Jemand, den du kennst, ist verbrannt, in seinem … Weiterlesen Asbest.

Kopf hoch.

Lach doch mal, hat er gesagt. Komm schon, hat er gesagt. Schau doch nicht so grimmig, hat er gesagt. Sie hat nichts gesagt, sondern nur eine Stelle auf dem Parkettboden gemustert, die drei Astlöcher, die sich zueinander fügen und an ein Gesicht erinnern, das Gesicht eines erstaunten Gespenstes vielleicht. Nicht traurig sein, hat er gesagt. … Weiterlesen Kopf hoch.

Ismo in Gedanken.

Ismo mag seinen Vornamen nicht, weil er so speziell ist, doch er mag, dass sein Vorname speziell ist, und wenn schon der Vorname für Verwirrung sorgt, verwundert es nicht, dass Ismo auch sonst häufig ein wenig durcheinander ist. Ismo tanzt wie Michael Jackson, zumindest versucht er es, aber nur, wenn ihn niemand sieht. Ismo liebt … Weiterlesen Ismo in Gedanken.

Figuren.

Bei Anbruch der Dunkelheit steigt Vera auf die Dachterrasse, die zum großen alten Wohngebäude gehört, und zündet sich eine Zigarette an. Mehr als zwei Packungen hat sie geraucht an diesem Tag, der sich nun unweigerlich auflöst in der kühlen Nachtluft. Sie bläst den Rauch hinterher, als letztes Geleit. Vor ihr liegt die Stadt, und obwohl … Weiterlesen Figuren.

Sven Regener.

Ganz egal, woran ich gerade denke, am Ende denk ich immer nur an dich, singt Sven Regener, und die Stimme von Sven Regener klingt wie ein trunkener Abend im schummrigen Licht in einer Kneipe, in der es nach Bier und Gelächter und faltigen Gesichtern und in die Handflächen gestützten Köpfen riecht. Sie war schon so … Weiterlesen Sven Regener.

Der Specht.

Draußen vor dem Fenster klopft ein Specht. Sie kann ihn hören, und sie kann ihn sehen. Immer wieder zuckt sein Kopf, immer wieder hämmert er seinen Schnabel in die Baumrinde, wie von Sinnen. Es ist ein fürchterliches Bild. Sie würde wohl allein schon bei der Vorstellung, mit ihrem Schädel wiederholt gegen einen Baumstamm klopfen zu … Weiterlesen Der Specht.

Die Häsin.

Einmal, als junges Mädchen, hatte Jana einen Hasen gemalt. Er stand auf zwei Beinen, dieser Hase, ein vermenschlichter Hase, eigentlich eine Häsin, denn sie trug ein Kleid. Diese Häsin, sie hatte sehr lange Ohren, so lang, dass sie bis zum Boden reichten. Wenn die Häsin ging oder lief, trat sie dabei immer wieder auf die … Weiterlesen Die Häsin.

Tim oder Tom.

So jung kommen wir nicht mehr zusammen, sagte Dirk, und Olli redete darüber, wie die Zeit sich so beeilt und so wenig bleibt von dem, was einmal war, und David meinte, dass wir Helden sein könnten, nur für einen Tag, doch der Tag, er kam nicht, niemand wurde ein Held, höchstens Tim oder Tom, der … Weiterlesen Tim oder Tom.

Warmwasser.

Der Tag hängt stumm in den Räumen. Vor den Fenstern lässt der hellgraue Himmel die Landschaft matt und bleich wirken, wie eine altes Foto in ungesättigten Farben. Sie lauscht der Stille, fügt sich in das Schweigen, und als sie sich räuspert, zuckt sie erschrocken zusammen, so laut und grob dringt das Geräusch aus ihrer Kehle … Weiterlesen Warmwasser.