Hinter dem Haus.

Er ist wohl gar nicht so alt, wie man im ersten Moment vermuten mag, vielleicht ist er fünfzig, womöglich sogar jünger. Doch er wirkt alt, alles an ihm gemahnt an die Unerbittlichkeit der Zeit, und wäre er ein Haus, würde der Wind durch die Löcher in seinen dünnen und brüchigen Wänden pfeifen. Natürlich fragt man … Weiterlesen Hinter dem Haus.

Nichts zu sehen.

Die Menschen sind über die banalen Sessel gestreut, ein Eisenbahnwagen voller Existenzen, die sich nicht berühren; man lebt und atmet hier nebeneinanderher und aneinander vorbei, und wahrscheinlich ist es allen recht so. Man ist sich fremd, aber zumindest ist man vereint im Fremdsein. Zwischen all den Gesichtern, die keine Geschichten erzählen mögen, ist eines, das … Weiterlesen Nichts zu sehen.

Leichenwagen.

Er steht neben dem toten Körper. Das Wort Leiche widerstrebt ihm. Es wirkt so leer, so unpersönlich. Es klingt wie etwas, das nicht mehr funktioniert. Natürlich trifft dies eigentlich auch zu. Trotzdem möchte er den toten Körper nicht Leiche nennen. Auch wenn es nur eine Taube ist. Nur eine Taube. Nur. Die Beine ragen wie … Weiterlesen Leichenwagen.

Ja.

Das Kind hat diese Angewohnheit, man könnte es Spleen nennen oder Marotte, jedenfalls hängt es bei manchen Sätzen ein Ja ans Ende, einfach so oder vielleicht, um die Aussage zu verstärken. Der Lego-Mann kann sehr hoch springen, höher als ein Haus, ja. Häufig ist der Blick des Kindes dann ernsthaft und sehr fokussiert. Die Dinosaurier … Weiterlesen Ja.

Salbe.

Man geht wegen Rückenschmerzen zum Arzt, und dieser stellt einige Fragen, macht einige Tests, verschreibt dann einige Medikamente und eine Salbe, und bei der Salbe hat man zwei Produkte zur Auswahl, eine rote Tube mit trivialen grafischen Symbolen und eine blaue Tube mit grünen Pflanzen, und man denkt, dass die blaue Tube mit den grünen … Weiterlesen Salbe.

Ein Mann mit Hut.

Er steht dort oben, der einsamste Mensch der Welt, alles ist dunkel, nur er ist erleuchtet, beleuchtet, das Scheinwerferlicht lässt Schweißtropfen aus seinen Poren dringen, mit dem Handrücken wischt er sich das fettige Glänzen von der Stirn und schiebt dabei den Hut ein wenig nach oben, es ist eine Melone, niemand trägt mehr Melonen in … Weiterlesen Ein Mann mit Hut.

Fünf Minuten vor Ladenschluss.

Die adrett gekleideten Staatsmänner, sie schütteln sich die frisch gewaschenen Hände und gratulieren sich gegenseitig zum Erreichen einer Übereinkunft, die den schönen Schein wahrt. Der erschöpfte Langstreckenläufer weint Tränen des Glücks, während ein konserviertes Sinfonieorchester seine Rührung mit einer pathetischen Hymne untermalt, um seinen Sieg zu zelebrieren. Ein Gameshow-Kandidat ballt die Faust und reckt sie … Weiterlesen Fünf Minuten vor Ladenschluss.

Ein Satz über Toilettenpapier.

Vor gefühlten hundert Jahren und mindestens einem Dutzend durchlaufener Phasen meines Seins schrieb ich einen Text über Toilettenpapier, aus vollkommen unerfindlichem Grund, auch heute noch habe ich keine Ahnung, weshalb ich dies tat, womöglich war mir die auslösende Idee bei einem Akt der Defäkation gekommen, jedenfalls entstand dieser Text, eine muntere Ansammlung von Gedanken über … Weiterlesen Ein Satz über Toilettenpapier.

Der Bademeister.

Er klammert sich an sein Glas, der Rotwein klebt an den bauchigen Wänden, seine dicken Finger zittern ein wenig, ebenso der Kopf, eine graue Haarsträhne bebt unentwegt, bewegt von einem Wind, der hier in dieser Kneipe nicht weht. «Manchmal erinnert man sich an seltsame Dinge», sagt er, die Worte langsam und mit Bedacht in eine … Weiterlesen Der Bademeister.

Olga bellt.

Mit großer Wahrscheinlichkeit lautet ihr Name nicht Olga. Aber sie sieht aus wie eine Olga, sie wirkt wie die garstige und übellaunige Trulla aus einem russischen Gesellschaftsroman, an dessen Ende alle Beteiligten sterben, nur eben Olga nicht, die dem eisigen Wind einer unfreundlichen Umwelt mit stoischer Gleichgültigkeit begegnet und sich an der Glut der abgebrannten … Weiterlesen Olga bellt.

Das Kind am Fenster.

Da ist ein Kind am Fenster. In der dritten Etage des Hauses auf der anderen Seite der Straße sind drei Zimmer beleuchtet, und in einem davon steht ein Kind am Fenster. Die Umrisse zeichnen sich klar ab, oben der Kopf, dann ein schlanker Rumpf mit angelegten Armen, dann die Beine, die in die tiefliegende Fensterkante … Weiterlesen Das Kind am Fenster.

Landschaft Eins.

Man erschafft sich seine eigene Landschaft. Den objektiven Blickwinkel gibt es nicht, man schaut immer durch die gleichen beiden Löcher aus dem Kopf hinaus in die Welt, und diese Welt, sie dringt durch die gleichen beiden Löcher hinein in den Kopf. Und dort entsteht sie, die Landschaft. DIE LANDSCHAFT IM INNERN. Es ist nicht selten … Weiterlesen Landschaft Eins.

Landschaft Zwei.

Man erschafft sich seine eigene Landschaft, und für Nichtgötter klingt das mühsam, strapaziös, doch eine Landschaftserschaffung ist eigentlich ganz einfach, man braucht keine teuren Gartengerätschaften aus dem Baumarkt und auch keinen Löffelbagger, man muss gar nicht viel tun, nur hinsehen, hersehen, herbeisehnen, sich hingeben, hineinbegeben, denn die Landschaft, sie beginnt immer dort, wo man selbst … Weiterlesen Landschaft Zwei.

Landschaft Drei.

Man erschafft sich seine eigene Landschaft. Seinen eigenen Hügel, den eigenen Buckel im Terrain. Und dann, beim Betrachten dieses Hügels, denkt man an die Beule, die man sich als kleines Kind zuzog, als man mit dem Dreirad durch die Wohnung raste und sich eine Schwelle in den Weg stellte, wodurch man an eine Ecke im … Weiterlesen Landschaft Drei.

Nichts.

Sie fragten ihn, weshalb er den Türrahmen mit seiner Hand zertrümmert habe und dabei auch die Hand selbst, und er sagte nichts. Er betrachtete die blutigen Stellen an seinen Knöcheln und umklammerte seinen Unterarm, ließ ihn schlapp nach unten hängen und räusperte sich geräuschvoll. Schließlich spuckte er auf den Teppich und verstrich den Speichel mit … Weiterlesen Nichts.

An der Leine.

Die Welt wird kleiner mit der Zeit. Die Grenzen rücken näher, und gleichzeitig wächst ihre Angst, sie zu überschreiten. Die Mauern wachsen, weit über sie hinaus und hinein in den Himmel, der immer dunkler zu werden scheint. Und während sie mit ihrem Hund die gewohnten Wege geht, hält sie sich im Schatten und abseits der … Weiterlesen An der Leine.

Der Sänger.

Wenn in einem gut besetzten Zugabteil ein offensichtlich leicht geistig behinderter Mann sehr laut und sehr falsch singt, ist es angebracht, verärgert und genervt zu reagieren und gegebenenfalls mit Nachdruck um Ruhe zu bitten. Natürlich tut man es nicht. Man weist keine behinderten Menschen zurecht, man hindert sie nicht daran, ihre Gefühle in akustischer Form … Weiterlesen Der Sänger.

In ihren Räumen.

Sie ist da, und sie ist nirgendwo, allein in diesem Zimmer, in dessen Winkeln sich der Staub sammelt, allein in dieser Stadt, zwischen Millionen leeren Gesichtern, in dieser Welt, die auch im Sommer nicht wärmt, und während draußen kalte Lichter durch die urbanen Adern fließen, hat sie sich über die Rückenlehne des Sofas gelegt, wie … Weiterlesen In ihren Räumen.

Der Mann auf der Mauer.

Die Kälte atmet Wolken aus, das grelle Neonlicht vertreibt die Dunkelheit des frühen Morgens vom Bahnhofsgelände und macht die Gesichter weiß. Liebende küssen sich, als wäre der Abschied für immer, sehr wichtige Menschen sind sehr in Eile, leere Blicke fallen ins Nichts, alles wartet, alles schweigt, nur ein Mann sitzt auf einer kleinen Mauer, trinkt … Weiterlesen Der Mann auf der Mauer.