Man geht wegen Rückenschmerzen zum Arzt, und dieser stellt einige Fragen, macht einige Tests, verschreibt dann einige Medikamente und eine Salbe, und bei der Salbe hat man zwei Produkte zur Auswahl, eine rote Tube mit trivialen grafischen Symbolen und eine blaue Tube mit grünen Pflanzen, und man denkt, dass die blaue Tube mit den grünen Pflanzen wahrscheinlich vermehrt pflanzliche Inhaltsstoffe aufweist, was der Arzt auch tatsächlich bestätigt, und man ist natürlich geneigt, das natürlichere Produkt zu bevorzugen, schließlich ist man als Mensch auch irgendwie natürlich, und überhaupt ist die chemische Industrie ein böses Monster, also will man sich wohlüberlegt für die blaue Tube mit den grünen Pflanzen entscheiden, als der Arzt ganz sorgenvoll auf seinen Computerbildschirm starrt und dann erklärt, dass beim Produkt in der blauen Tube mit den grünen Pflanzen gewisse Inhaltsstoffe in Verdacht stehen, Krebs auszulösen, und man zuckt dann ein wenig zusammen, Krebs ist eines dieser stachligen Wörter, die im Kopf mit ihren Dornen alle Wände aufreißen, und dann, nach einem Schulterzucken und einer witzig gemeinten, aber mäßig amüsanten Bemerkung, wählt man die rote Tube mit den grafischen Symbolen, deren Inhalte zwar weniger natürlich, aber eben auch weniger tödlich sind, und später steht man draußen, beim Eingangsbereich eines Einkaufszentrums, zusammen mit hundert anderen Menschen, und irgendwo schreit eine Mutter ihren Sohn an, ein alter Mann starrt ein junges Mädchen an, jemand liest ein Buch, jemand raucht eine Zigarette, ein attraktiver Mann drückt seine Lippen auf die Lippen einer attraktiven Frau, auf der Straße fährt ein grinsender Mann im Maserati vorüber, eine modisch gekleidete Dame trägt ihren Chihuahua in einer Korbtasche, ein junger Schwarzer macht einem jungen Weißen vielsagende Zeichen, eine ältere Dame stößt unverständliche Worte zwischen schmalen Lippen hervor, ein junges Paar mit temporären Stirnfalten unterhält sich in merkwürdigen Zischlauten, und man steht zwischen all diesen Menschen und mustert sie möglichst unbemerkt, und man sieht sie alle mit dem ersten Blick, mehr braucht es nicht, um sich eine Version der Dinge zu skizzieren und grob zu gliedern, in blaue Tuben und rote Tuben, und meistens belässt man es dabei, gibt sich damit zufrieden, ohne zufriedener zu werden, aber vielleicht fragt man sich auch, wer sie wohl nach dem zweiten Blick wären, diese Menschen, ob vermeintlich böse Monster womöglich harmlos und scheinbar fröhlich wuchernde Pflänzchen unerwartet giftig sind, und später reibt man sich den Rücken ein mit der Salbe aus der roten Tube mit den grafischen Symbolen, und wahrscheinlich ist die Wirkung weniger stark als erhofft, aber immerhin bekommt man keinen Krebs.

Bitte in genau dem rastlosen Fluss live vortragen…
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Ich stelle mich mal vors Einkaufszentrum; mal schauen, ob jemand zuhören mag… Vielen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte.
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🙂
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