Die Verkabelung.

Sie wohnt in einem gefährlichen Haus. Da sind morsche Balken, knarrende Dielen. Da sind Löcher im Dach und kleine Ritzen in der Fassade, durch die der Wind pfeift. Doch vor allem ist da die Verkabelung. Die elektrischen Installationen sind nicht sicher. Sie sind alt und brüchig. Obwohl sie die Kabel nicht sehen kann, weil sie … Weiterlesen Die Verkabelung.

Die helle Seite.

Ihre Finger gleiten über die weiche Oberfläche, schiebend und drückend, tastend und streichelnd. Sie fertigt kleine Figuren aus schwarzer Knetmasse, schmale, feingliedrige, geschlechtslose Wesen, mit ähnlichen Proportionen und minimalen Unterschieden in Körperhaltung und Ausdruck. Sie stellt die Figuren auf ein langes Regalbrett an der Wand, eine neben die andere; eine schweigende Prozession der Gesichtslosen, eine … Weiterlesen Die helle Seite.

Die Wölfin.

Draußen heulen die Wölfe. Sie bohrt in der Nase. Nicht zwanghaft, eher beiläufig. Zwanghaftes Nasenbohren wird als Rhinotillexomanie bezeichnet, ein suchtartiges Verhalten mit Krankheitswert, zumindest sagte das einst ihr Onkel, und ihr Onkel musste es wissen, schließlich war er Psychiater. Sie hat keine Ahnung, warum sie sich noch an den Begriff Rhinotillexomanie erinnert, er ist … Weiterlesen Die Wölfin.

Asbest.

Du zündest eine Kerze an. Die brennende Kerze, sie dient nicht dem Zweck, Licht zu spenden oder Wärme. Du magst lediglich die Stimmung, die sie erzeugt, doch darüber hinaus wohnt ihr keinerlei überhöhte Symbolik inne, sie soll an niemanden erinnern, und dennoch erinnert sie dich an jemanden. Jemand, den du kennst, ist verbrannt, in seinem … Weiterlesen Asbest.

Fliegenschiss.

Mira hängt die Vorhänge ab. Sie hatte es schon lange vorgehabt, aber immer wieder hinausgezögert. Verdammte Prokrastination. Die Vorhänge hingen schon da, als Mira einzog, sie gehörten der alten Frau, die vor ihr in der Wohnung lebte. Sie war hier gestorben, die alte Frau, lag wahrscheinlich schon ziemlich lange tot auf dem Boden, bevor man … Weiterlesen Fliegenschiss.

Enger.

Das Licht ist anders, auch die Farben. Das ist schon lange so, eine kleine träge Ewigkeit. Wenn er blinzelt, bleiben die Lider manchmal aneinander kleben. Er reißt dann die Augen auf und macht ein langes Gesicht. Seine Hosen sind enger geworden, sie drücken ihn in der Mitte zusammen, doch er will keine neuen Hosen, jedenfalls … Weiterlesen Enger.

Regenwürmer.

Sie hat die Taschen voll mit Träumen, und wenn sie die Augen schließt, wachsen stetig neue Möglichkeiten in ihre Welt. Sie mag die Ruhe nach dem Gewitter, sie beobachtet die Regenwürmer, wie sie über den Asphalt kriechen, sich winden, abwechselnd länger und kürzer werden. Manchmal ballt sie eine Faust, spannt die Muskeln an und drückt … Weiterlesen Regenwürmer.

Das Knarren.

Da war nichts, sagt er sich. Trotzdem richtet er sich auf, bleibt einige Sekunden lang starr und angespannt, wartet ab, ob er nochmals etwas hört. Doch alles ist ruhig, das Haus ist still. Da war wohl tatsächlich nichts. Er blickt auf die Digitalanzeige seines Weckers. 2:11, sagen die roten Ziffern. Er weiß nicht genau, ob … Weiterlesen Das Knarren.

Stechen.

Wenigstens friert sie nicht. Immerhin. Sie zittert nicht, die Haut wirft keine Beulen. Ihr ist auch nicht zu heiß, da ist kein kalter Schweiß, auch kein warmer. Überhaupt spürt sie sehr wenig, selbst heftige Winde weichen ihr aus, Regentropfen ändern kurz vor dem Aufprall die Richtung. Nichts vermag sie zu berühren. Aber wenigstens friert sie … Weiterlesen Stechen.

Gerinnung.

Mit dem Kopf gegen die Wand, mit dem Kopf gegen den Spiegel, immer wieder. Ein Gesicht in Scherben, zersplittertes Leben, einige Tropfen Blut vielleicht. Alles gerinnt, trocknet ein, trocknet aus. Das Lächeln ist eine Lüge, doch was ist überhaupt noch wahr? Der Blick klammert sich an vage Punkte in der Ferne, dann wieder an einen … Weiterlesen Gerinnung.

Und sie wartet.

Der Tag beginnt schon, als die Nacht noch nicht zu Ende ist. Sie schlägt die Augen auf und die Decke zurück. Viel zu schnell steht sie auf, Schlaftrunkenheit raubt Gleichgewicht, sie wankt, aber sie fällt nicht. Draußen ist die Welt noch schwarz, die Dunkelheit fließt als zähe Masse in ihr Zimmer. Sie tritt ans Fenster … Weiterlesen Und sie wartet.