Du zündest eine Kerze an. Die brennende Kerze, sie dient nicht dem Zweck, Licht zu spenden oder Wärme. Du magst lediglich die Stimmung, die sie erzeugt, doch darüber hinaus wohnt ihr keinerlei überhöhte Symbolik inne, sie soll an niemanden erinnern, und dennoch erinnert sie dich an jemanden.
Jemand, den du kennst, ist verbrannt, in seinem Haus, und man geht davon aus, dass er das Feuer selbst gelegt hat, und dir wird bewusst, dass du jenen, der verbrannt ist, jetzt nicht mehr kennst, dass du ihn lediglich gekannt hast, er ist aus der Gegenwart in die Vergangenheit gestürzt, hat sich dem Fortgang der Zeit verweigert, hat sich aus dem Gefüge genommen und dich zurückgelassen, dich und alle anderen, die du kennst. Du fragst dich, wie er es gemacht hat und warum er diese Form der Lebensbeendigung gewählt hat. Du weißt, dass du es auf diese Weise wohl kaum tun könntest. Du fürchtest das Feuer.
Deine Haut ist aus Asbest, er macht dich feuerfest, aber krank. Deine Großmutter sagte einst, dass das, was dich nicht umbringe, dich stärker mache. Deine Großmutter war längst nicht der einzige Mensch, der das sagte, doch bei ihr klang es so verbindlich. Gestimmt hat es dann trotzdem nicht. Die Großmutter war nie stark, und dann wurde sie schwach und immer schwächer, und schließlich starb sie.
Im Radio erzählt eine distanziert wirkende Frauenstimme davon, dass der derzeit älteste Mensch gestorben ist. Nun ist also jemand anders der derzeit älteste Mensch, bis auch dieser diesen Titel abgeben muss, zeitgleich mit dem Löffel. Du fragst dich, woher die Redewendung stammt. Den Löffel abgeben. Du weißt es nicht und du magst nicht recherchieren. Immerhin weißt du, dass die älteste Person, die je gelebt hat, eine Französin war und 122 Jahre alt wurde. Es ist vollkommen unnötig, dies zu wissen. Anderes Wissen fehlt dir zuhauf, wichtiges Wissen, relevantes Wissen. Doch das ist dir seltsam egal.
Dir kommt es so vor, als wäre dein Dasein nur ein einziger Tag, und du hast den ganzen Tag gewartet, und jetzt ist Abend, es wird dunkel, es wird kühl. Das Warten war sinnlos, es war ungefüllte Zeit, die du wie eine leere Kartonschachtel vor dir hergeschoben hast. Du fragst dich, wer die Schuld trägt an dieser Verschwendung, jemand muss sie doch tragen, die Schuld. Du kannst nicht, dein Rücken, die Wirbelsäule, alles tut weh, man kennt das ja.
Im Spiegelschrank im Badezimmer steht eine Hautcrème. Rêve de miel heißt sie, Honigtraum. Du fragst dich, was ein Honigtraum ist. Du hast noch nie von Honig geträumt. Dein letzter Traum handelte davon, dass du von einem Mann belästigt wurdest und nachher auf einem alten Pferd durch die Stadt reiten musstest, während die Leute schmutzige Kleider aus ihren Fenstern warfen. Der Traum hat dich verwirrt, hat dich irritiert, aber du hast die Irritation wegschultergezuckt, wie du alles wegschulterzuckst.
An jener Schulter, die du für das Schulterzucken brauchst, ist eine trockene Stelle, die ständig juckt. Du kratzt dich, immer wieder, doch das Jucken hört nicht auf, erhält lediglich Gesellschaft von einem leichten Brennen, einem gänzlich feuerfreien Brennen, denn deine Haut ist aus Asbest. Jemand, den du gekannt hast, hätte eine Haut aus Asbest brauchen können. Dir bringt sie nicht viel.
