Ein Jahr in zwölf Gesprächen.

Januar «Frohes neues Jahr!» «Frohes neues Jahr!» «Ich mache mir eigentlich keine Neujahrsvorsätze. Dieses Mal schon.» «Ach ja?» «Ja. Ich habe mir vorgenommen, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Auf die wichtigen Dinge. Auf die wichtigen Menschen.» «Wichtige Menschen?» «Ja. Gute Freunde.» «Bin ich… Öhm… Gehöre da…» «Ja. Ja. Natürlich.» «Da bin ich froh.» «Ich … Weiterlesen Ein Jahr in zwölf Gesprächen.

Hüpfende Steine.

Sie lassen Steine hüpfen. Einen nach dem anderen schleudern sie auf den See hinaus, immer abwechselnd. Manche hüpfen fünf, sechs, sogar sieben Mal. Andere wiederum versinken beim ersten Mal mit einem banalen Plopp im Wasser. Der junge Mann hat den Eindruck, dass seine Steine meistens häufiger hüpfen als jene seines Freundes. Er fühlt sich unwohl … Weiterlesen Hüpfende Steine.

Ambulante Lesung 02

Bereits zum zweiten Mal kam in Speicher in der Ostschweiz eine Ambulante Lesung zur Aufführung. Die Ambulante Lesung ist ein Gegenentwurf zur klassischen Wasserglaslesung. Das Lesen und Zuhören erobert das Freie, die Umwelt wird zur lebendigen Kulisse, oftmals sogar zum prägenden Element des Gelesenen. Das Publikum ist in Bewegung, taucht in die Geschichte ein, wird zum … Weiterlesen Ambulante Lesung 02

Neben dem Stuhl.

Man dachte, man mag ihn. Man denkt, man habe ihn gemocht. Man dachte und denkt häufig darüber nach, ob man eine Person mag, und vielleicht noch häufiger darüber, ob man von einer Person gemocht wird. Bei ihm war man relativ sicher, dass man ihn mag. Dass man von ihm gemocht wird. Dass da eine gewisse … Weiterlesen Neben dem Stuhl.

Michael Jackson.

Michael Jackson ist tot, und sie hat ihn umgebracht. Dabei liebte sie ihn, damals in der Schule, wie die meisten anderen Kinder auch, er war so anders und so schön, er war so weit weg und doch so nah, er war kein Mensch und ließ sie trotzdem spüren, dass sie selbst ein Mensch war. Michael … Weiterlesen Michael Jackson.

Das Erkennen.

Manchmal sind die Körper vergesslich, vielleicht auch nur abgelenkt oder träge, manchmal ist die Haut nicht viel mehr als die unterste Schicht der Kleidung, manchmal ist ein Kuss nur eine einstudierte Geste, ein Automatismus, und vielleicht gebührt diesen Begebenheiten durchaus Raum, vielleicht bedarf jedes gute Zusammenspiel einer gewissen Routine, wiederholter Übung, doch dann wieder, wenn … Weiterlesen Das Erkennen.

Die Antwort.

Er war zärtlicher als andere, weniger egoistisch, das war angenehm, und obschon es nicht sonderlich ungestüm oder ekstatisch war, hatte sie einen Orgasmus, den ersten seit geraumer Zeit. Jetzt liegt er neben ihr und schaut sie an. Sie weicht seinem Blick aus. Das kann sie gut. Woher kommt die Traurigkeit in deinen Augen? Seine Frage … Weiterlesen Die Antwort.

So gut wie möglich.

Das Kind weint, und man müsste es doch trösten, das Herz eines Vaters lässt eigentlich keinen anderen Schluss zu, aber man kann nicht, zumindest nicht richtig, es ist schwierig, denn man hat das Kind ja selbst zum Weinen gebracht, mit einem Tadel, der zwar nachvollziehbar ist, aber womöglich ein wenig übertrieben war, und nun weiß … Weiterlesen So gut wie möglich.

Die Fotografin.

Ihr Mann zuckt mit den Schultern, murmelt etwas und räuspert sich, ihre Mutter wischt sich die Hände an der Schürze ab und zieht die Nase hoch, ihr Vater schaltet auf einen anderen Fernsehkanal, und die Freundinnen, die guten wie die austauschbaren, sie finden es ganz toll und wechseln dann das Thema. Sie hat bei einem … Weiterlesen Die Fotografin.

Richtung.

Sie liegt auf ihrem Rücken und auf ihm, er liegt unter ihr und auf dem Bett. Ihre Augen sind geschlossen, es wäre sowieso zu dunkel, um etwas zu erkennen, und dennoch blicken sie in die gleiche Richtung. Seine Hände gleiten über ihren Körper, energisch und forsch, eine ungewohnte Vehemenz, die von Lust und Verlangen erzählt … Weiterlesen Richtung.

Schrauben.

Sie würde die Schrauben am Türschloss wieder festdrehen müssen. Es war ein altes Haus, und wenn jeweils eine Tür zu heftig zugeknallt wurde, lösten sich die Schrauben aus dem Gewinde. Seine Worte hingen noch im Raum, wie der hartnäckige Geruch von faulenden Äpfeln. Ich gehe. Sie wusste nicht, wohin er zu gehen gedachte, was er … Weiterlesen Schrauben.

Vier Hunde.

Sie sitzen nebeneinander, wie ein altes Paar, das sich im Fließen der Zeit die Liebe bewahrt hat, und vielleicht sind sie das, sind sich in Vertrauen verbunden. Es ist, wie es immer war, sie redet und er hört zu, er legt hin und wieder den Kopf schräg, doch er sagt nichts. Kein Werten, kein Bewerten, … Weiterlesen Vier Hunde.

Schwimmer.

Das Wasser ist kalt. Der Ozean ist zu groß und zu tief, als dass es jemals warm genug werden könnte. Sie weiß das und er weiß das und dennoch frieren sie. Daran kann man nicht viel ändern. Es wird angenehmer, wenn man sich bewegt. Irgendwie wird dann die Heizung unter der Haut aufgedreht. Schwimm mit … Weiterlesen Schwimmer.

Unterwassertränen.

Da ist ein Knoten in der Zunge, wenn sie von Angst und Liebe spricht, aber sie versteht nicht, warum andere verstehen sollten, was sie selbst nicht versteht. Ihre Knochen sind Schwemmholz, ihre Haare wachsen algengleich in die Tiefe. Sie weint nur unter Wasser, das ist Vorsicht, das ist Rücksicht, das ist Absicht. Sie schwimmt nicht … Weiterlesen Unterwassertränen.

Undenkbar.

«Was denkst du?» will sie wissen, und er zuckt zusammen, denn er hat mit der Frage gerechnet, weiß aber trotzdem nicht, was er darauf antworten soll. Zwar ist es nicht so, dass er nichts denkt, doch er schätzt es sehr, seine Gedanken innerhalb der sicheren Grenzen seines Kopfes zu wissen, und ist nicht sonderlich erpicht … Weiterlesen Undenkbar.

Die Biologieprüfung.

Der Kopf war groß. Zwar waren seine Ausmaße keineswegs grotesk, die Dimensionen sprengten nicht alle Grenzen. Einige aber schon, darunter die Grenzen der Normalität in den Augen der anderen Kinder. Sie nannten ihn Wasserkopf oder Riesenkopf, vielleicht waren auch andere Nettigkeiten zu hören, doch ich sah davon ab, in den Kanon einzustimmen. Mir schien der … Weiterlesen Die Biologieprüfung.

Emotionale Defäkation.

«Du musst es rauslassen.» «Was muss ich rauslassen?» «Die Scheiße. Die ganze Scheiße.» «Welche Scheiße?» «Halt eben das, was dich bedrückt.» «Ist nicht so schlimm.» «Deine Augen sagen etwas anderes.» «Ich kann das nicht so gut.» «Was?» «Darüber reden. Außerdem ändert sich dadurch sowieso nichts.» «Natürlich ändert sich etwas.» «Ich glaube nicht.» «Es ist wie … Weiterlesen Emotionale Defäkation.

Anna und Himbeereis.

Es gibt keine Perfektion beim Menschen, doch sie konnte sich nicht vorstellen, dass jemand dieser Vollkommenheit näher hätte kommen können als er. Ben. Eigentlich Benjamin, aber Ben passte besser. Er war liebenswert, klug, humorvoll, attraktiv, treu, achtsam, charmant, zärtlich, gefühlvoll, er war all die Adjektive, die Anna genannt hätte, falls sie nach den Attributen ihres … Weiterlesen Anna und Himbeereis.