Ihr Mann zuckt mit den Schultern, murmelt etwas und räuspert sich, ihre Mutter wischt sich die Hände an der Schürze ab und zieht die Nase hoch, ihr Vater schaltet auf einen anderen Fernsehkanal, und die Freundinnen, die guten wie die austauschbaren, sie finden es ganz toll und wechseln dann das Thema.
Sie hat bei einem Leserwettbewerb eines Fotomagazins den ersten Preis gewonnen, ihre Bilder werden auf zwei Doppelseiten gezeigt, sie selbst in einem kleinen Portrait gewürdigt. Und natürlich ist das keine Revolution, es wirbelt keinen Staub auf. Sie sagt etwas zu laut, dass der Gewinn des Wettbewerbs nicht der Rede wert sei, doch sie freut sich sehr, schlägt euphorisch Löcher in die Luft, wenn sie allein ist, und sie ist sogar ein wenig stolz, ein Gefühl, das ihr keineswegs behagt. Sie will gar keinen Applaus, sie braucht kein Scheinwerferlicht, aber irgendwie hätte sie sich zumindest einige aufrichtigen Worte oder ein anerkennendes Kopfnicken erhofft. Zwar würde sie sich nie als professionelle Fotografin oder dergleichen bezeichnen, aber sie investiert doch ziemlich viel Zeit und Geld und Herz in das Fotografieren, es ist mehr als nur ein Zeitvertreib. Es ist wichtig, es ist ihr wichtig. Sie sieht die Welt nicht nur durch ihre Augen, sondern auch durch die Linse der Kamera, und manchmal ist beim zweiten Blick mehr da als beim ersten. Dieser sinnliche Reichtum der Eindrücke, er erfüllt sie, doch bisweilen vermisst sie es, diese Emotionen teilen zu können.
Irgendwann geht sie in den Keller des Elternhauses, sucht den Vater, der dort unten jeweils werkelt und in seinem Arbeitsraum wohl vor allem die Distanz zur Restwelt genießt. Das Licht brennt, doch der Vater ist nicht da, und sie schaut sich um, betrachtet die Werkzeuge und Utensilien. Sie wendet sich ab und will bereits wieder nach oben gehen, da stutzt sie und blickt nochmals zum Werktisch. Am der Wand daneben sind Bilder aufgehängt, die sich zuvor wohl nur in die Augenwinkel geschlichen hatten. Sie kennt die Bilder wie niemand sonst, und dennoch sehen sie an diese Stelle merkwürdig aus, die beiden Magazindoppelseiten, eingerahmt und hinter Glas; sie wirken fremd, und sie erzählen eine neue Geschichte. Sie spielt mit dem Gedanken, ihre Kamera zu holen, doch dann bleibt sie einfach stehen, starrt an die Wand und macht sich ein neues Bild von den alten Bildern.

Sehr berührender Text, lieber Disputnik, der wieder einmal hineinschaut in die Welt der verschiedenen Generationen, die nur zu oft tagtäglich in Konflikt stehen,
völlig zu Unrecht meistens…
Liebe Morgengrüße
vom Finbar
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Vielen Dank dir, lieber Finbar, fürs Hin- und Hineinschauen und für deine Worte…
Ganz herzliche Grüsse zurück…
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Ein schöner Text. Und jetzt frage ich mich, was ich vielleicht übersehen habe. Wo ich vielleicht einen zweiten Blick werfen sollte… Danke fürs Denkenmachen!
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Danke dir! Fürs Lesen und fürs Hinschauen und Vielleicht-nochmals-Hinschauen. Und für deine Worte.
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Ein wunderschöner, gelungener und in der Tat sehr berührender Text. Mein Kompliment.
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Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und Berührenlassen und für deine Worte…
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Ein wunderbares Gefühl, sich auf solche Weise in einer Traurigkeit über Nichtbeachtung widerlegt zu finden. Fantastisch gut und intensiv erzählt.
Viele liebe Grüße✨
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Vielen herzlichen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte!
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Wunderberührend.
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Wunderschön, vielen Dank!
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wir gut sind ihre Gefühle zu verstehen, lieber Disputnik. Wie gut hast Du es verstanden, deutlich zu machen, was sie empfindet…
Und nun der Vater, der uninteressiert schien, sie muß ihn jetzt wohl mit anderen Augen sehen, vielleicht mit Fotografenaugen, weil sie hinter der Kamera, in ihrem Schutz sozusagen, in der Lage ist, hinter das zu blicken, was die Vorderseite zeigt.
Ein guter Text! Ein wirklich guter.
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Vielen herzlichen Dank dir, liebe Bruni, fürs Lesen und fürs Hin- und Dahinterschauen… Freut mich sehr, dass dir der Text gefällt!
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