Wenn er nackt im kalten Badezimmer steht und seinem Körper entlang nach unten blickt, sieht er den Penis eines alten Mannes. Er nimmt ihn zwischen die Finger, dreht und wendet ihn lustlos. Er fühlt sich klein und fremd an, ein absonderliches Ding, die Haut wirft Falten, aber das tut sie am gesamten Körper. Das Hautkleid wird zu groß, und darunter schrumpft er immer mehr.
Manchmal betrachtet er alte Magazine oder sieht sich Filme auf VHS an. Seit seine Frau nicht mehr da ist, muss er sie nicht mehr im Arbeitszimmer verstecken. Sie missbilligte derartige Aufnahmen von nackter Haut, bezeichnete sie als schmutzig und billig, und sie verstand nicht, wie er Gefallen daran finden konnte. Einige Male verteidigte er sich, verteidigte die Bilder, die nicht pornografisch, sondern erotisch waren, doch schließlich begann er, sie unter Verschluss zu behalten, sie nur im Geheimen zu betrachten. Und erkannte bald einen gewissen Reiz darin, der die Magazine und Filme nur noch wertvoller machte.
Jetzt ist die Heimlichkeit nicht mehr notwendig, und irgendwie vermisst er sie. Trotzdem mag er die Bilder noch immer, er mag die Frauen, ihre Schönheit ist ungebrochen, auch wenn manche Seiten der Magazine vergilbt, die Farben verblasst sind. Neue Bilder braucht er nicht, er mag weder moderne Erotikfilme noch die bunten Hefte in den obersten Reihen der Regale am Kiosk. Überhaupt findet er die gegenwärtige Erotik alles andere als erotisch, die Frauen und auch die Männer auf den Bildern wirken seltsam künstlich, alles ist rasiert, alles sieht nach Plastik aus. Früher waren die Frauen schöner. Und er war jünger. Heute ist er zu alt für sie alle, eigentlich ist er sogar zu alt für die Bilder der jungen Frauen von früher.
Nicht selten verheddert sich das Band der VHS-Kassetten in seinem alten Videogerät, dann wieder reißt das dünne Papier der Magazine, vereinzelte Seiten lösen sich aus dem Inhalt. Er klebt alles wieder zusammen, repariert die konservierte Zeit, auch wenn er weiß, dass er sie eigentlich nicht retten kann. Hin und wieder, wenn er in den alten Heften blättert, schiebt er seine Hand hin zum Schoss. Seine Finger berühren den Penis eines alten Mannes, der Daumen gleitet über die Erhebung unter dem Stoff seiner Hose. Mehr geschieht nicht. Er starrt auf die aufgeschlagene Seite des Magazins, auf die nackte Haut, auf die Beine und Brüste. Die Frau auf dem Bild ist jung, doch das Bild ist alt. Irgendwann macht er die Augen zu, und während sie geschlossen sind, schiebt er das Magazin zur Seite. Er öffnet die Augen, legt seine rechte Hand auf den linken Unterarm, nimmt ein Stück Haut zwischen die Finger. Sie wirft Falten. Das tut sie am gesamten Körper. Das Hautkleid wird zu groß, und darunter schrumpft er immer mehr.

Durch Zufall bin ich auf diesen älteren Text gestoßen (von WordPress empfohlen), aber er wirkt ganz und gar nicht von gestern!
Die Situation ist trefflich ausgewählt, allerdings ist ihre Erzählung, wie ich finde, ein wenig zu kurz (oder unfokussiert?) geraten, denn so ist am Ende – leider! – nicht ganz klar, wie der alte Mann und Protagonist sich nun eigentlich zu seinem Schicksal verhält: Akzeptanz, Bedauern oder Bitterkeit? Irgendwie scheint alles (und mehr?) denkbar, aber diese fehlende Eindeutigkeit überfordert diesesen kurzen Text, finde ich, der so letztlich einen irgendwie unfertigen Eindruck hinterläßt.
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Das Unfertige oder Skizzenhafte zieht sich ja nicht nur durch diesen Text, sondern wohnt auch den meisten anderen auf dieser Seite inne… Lassen sich denn Akzeptanz, Bedauern und Bitterkeit stets so eindeutig trennen und nur losgelöst voneinander betrachten? Aber ja, würde der Text zu mehr als nur zu einer Momentaufnahme ausgedehnt, könnte daraus eine konkrete Art von Erzählung entstehen. Jedenfalls freut es mich sehr, dass du auf den Text gestossen bist – vielen Dank dir fürs Lesen und für deine Gedanken.
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Du hast natürlich völlig recht, daß es sich hierbei um ein (unfertiges) Fragment handelt, aber manche Fragmente kommen fertigen Kürzestgeschichten („flash fiction“) bereits ziemlich nahe, so auch das vorliegende! Da wünscht man sich als Leser manchmal einfach einen Ticken mehr Feinschliff … nur, wie Du sagst, es muß vielleicht auch nicht unbedingt immer alles präzise und bis ins letzte Detail ausgearbeitet werden. Ich habe zu danken für die anregende Lektüre!
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Ja, der Feinschliff zählt nicht zu meinen Stärken… Nochmals vielen Dank und herzliche Grüsse…
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Hhhmmm…
ich lese über einen ganz gewöhnlichen Vorgang ein paar Zeilen von dir, lieber Schreibfreund,
und sie berühren mich (dieses Mal) nicht, eigenartig, nicht?
Vielleicht, weil ich es leid bin, immer und immer wieder über dieses geschlechtliche Thema immer und überall zu lesen?!
Hhhmmm…
so wie in diesen vielen vielen Kochblogs des Inet, wo zum zigten Male eine Kartoffelsalatvariante präsentiert wird mit einer Wurst dazu…
hier bei dir die kleine Peniswurst…
gut geschrieben wie immer, klar, aber irgendwie,
na ja, liegt vllt heute morgen an mir *lächel*
Liebe Morgengrüße vom Finbar
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Bezüglich der Übersättigung im Hinblick auf sexuelle Themen in der lesbaren Welt stimme ich dir zu, lieber Finbar, aber man hat ja auch stets die Wahl, die sechsundneunzigste Kartoffelsalatvariante im Internet einfach mal nicht zu lesen, vor allem, wenn schon die anderen fünfundneunzig am Ende dann doch ziemlich ähnlich schmecken…
So oder so vielen Dank dir fürs Lesen und für deine Gedanken, und vielleicht gelingt die Sache mit dem Berühren ja beim nächsten Mal etwas besser…
Herzliche Grüsse zurück…
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Es gelingt mir nicht, lieber Disputnik, deine Einträge durch Nichtlesen zu ignorieren… *lächel*
Save your Day!
Herzliche Grüße,
Finbar
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Das freut mich natürlich sehr, lieber Finbar… Herzliche Grüsse zurück…
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Das Thema dieses kurzen Textes scheint mir allerdings weniger das Geschlechtliche zu sein, das allenfalls als Aufhänger dient, sondern tatsächlich geht es um das Altern und den Umgang mit seinen – hier vor allem: körperlichen – Folgeerscheinungen!
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das Altern wird uns alle erfassen und die mitleidigen Blicke werde ich hassen, die, die durch mich hindurchsehen auch… Abseits stehen, nicht mehr dem Leben so wie immer angehören, das kann bitter sein, vielleicht hilft dann der Geist, der noch keinerlei Falten aufweist *lächel*
Sehr einfühlsam und voller Verstehen für das Altern geschrieben, lieber Disputnik
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Eine schöne Vorstellung, wenn der Geist sich dem Altern besser widersetzen kann als der Körper und dadurch vielleicht sogar die Furchen in der Haut weniger tief erscheinen lässt… Herzlichen Dank dir, liebe Bruni, fürs Lesen, für deine Gedanken und den faltenlosen Geist…
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wär schön, wenn er faltenlos wäre, lieber Disputnik. Leider spielt er seine Streiche mit mir und seine Falten sind schwierig auszubügeln… ich komme ihm so schlecht bei *g*
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Ein paar Falten dürfen aber schon sein, vielleicht, oder? Liebe Grüsse…
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Seltsam, dieser Blick in eine (vielleicht) auch mich ereilende Situation. Voyeuristisch, ja, aber auch … mitfühlend? verstständnisvoll? ahnungsschwer?
„Er klebt alles wieder zusammen, repariert die konservierte Zeit, auch wenn er weiß, dass er sie eigentlich nicht retten kann.“ Mein Schlüsselsatz in diesm Text …
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Hmmja, diese Art des seltsamen Blicks war wohl auch beim Schreiben da… Vielen Dank dir fürs Hinschauen und Lesen und für deine Worte!
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