Doppelt drehen.

Doppelt drehen. Doppelt drehen ist wichtig. Doppelt drehen macht sicher, macht sicherer. Der Metallbolzen ragt dann weiter in den Türrahmen hinein. Eigentlich weiß er, dass auch dann, wenn er nur einmal drehen würde, ziemlich sicher niemand in seine Wohnung eindringen würde. Wahrscheinlich nicht einmal dann, wenn er die Tür unverschlossen ließe. Trotzdem, sicher ist sicher, … Weiterlesen Doppelt drehen.

Widerstand.

Einer sitzt im Fußballstadion, mit zwanzigtausend anderen Menschen, und manchmal singen sie, manchmal rufen sie, manchmal klatschen sie. Als die Heimmannschaft ein Tor schießt, springen alle auf und jubeln, nur er nicht. Er bleibt sitzen und sieht sich um, stumm und still. Später gleicht die gegnerische Mannschaft aus, und andere Menschen jubeln, doch er bleibt … Weiterlesen Widerstand.

Amadou.

Die Rollen sind klar verteilt. Man hat unter anderem die Aufgabe, bei Bedarf Kleider an Bewohner der Flüchtlingsunterkunft abzugeben, strikt nach Anweisung durch die Zentrumsleitung. Er braucht eine Hose und ein Shirt oder Hemd und wurde deshalb in den Raum geschickt, den sie hier Boutique nennen. Sein Name ist Amadou. Seine Haut ist tiefschwarz, die … Weiterlesen Amadou.

Fünf Minuten.

Sie reden von Flüchtlingsströmen, von einer Flut, die uns überrollt. Sie reden von Grenzschutz, von Verteidigungsmaßnahmen, gerade so, als wäre man im Krieg. Sie reden von Überfremdung, von Migrationsdruck, von Wirtschaftsflüchtlingen. Sie reden von Islamismus, von Terrorismus, von Invasion, von brutalen Horden. Sie reden von nationaler Identität, von einem drohenden Kollaps, vom Ende Europas. Sie … Weiterlesen Fünf Minuten.

Am Dorfbach.

Jeder im Dorf kennt den J. Der J. ist einer, den man ein Original nennt, einen richtigen Typen. Der J. ist schon sehr früh alt geworden, doch er ist noch lange nicht alt genug, um zu sterben. Er arbeitet nicht mehr, und obwohl er sein Leben lang geschuftet hat, muss er nun vegetieren wie ein … Weiterlesen Am Dorfbach.

Hitler und der Zölibat.

In einer kleinen Gemeinde im Montafon verteidigt ein Pfarrer den Zölibat. Im Pfarrblatt schreibt Eberhard Amann unter anderem, dass die Neomarxisten nicht nur den besagten Eheverzicht zerstören möchten, sondern auch das Bollwerk der Einehe und die Familie an sich. Um Sinn und Zweck des Zölibats zu verdeutlichen, zieht der Pfarrer dann einen merkwürdigen Vergleich. «In … Weiterlesen Hitler und der Zölibat.

Saba und Momo und Pepe.

Er sagt den Leuten, sie sollen ihn einfach Saba nennen. Eigentlich heißt er Sabahudin, doch er will niemandem das Aussprechen des ganzen Namens aufzwingen, er will auch keine Ursprünge erläutern; überhaupt will er möglichst nicht zur Last fallen. Momo ist einer von denen, die man die Jungen nennt, und eigentlich kann er diesbezüglich kaum widersprechen. … Weiterlesen Saba und Momo und Pepe.

Brennende Dungklumpen.

Er wird eigentlich nicht wütend auf andere Menschen. Andere Menschen sind eben anders, sind anders als er selbst, darum heißen sie andere Menschen. Wären alle Menschen gleich, wären ihm alle Menschen gleich, wären ihm einerlei und egal. Und das wäre bedauerlich. Leben und leben lassen, jeder nach seiner Fasson, Tierchen, Pläsierchen, man kennt das ja, … Weiterlesen Brennende Dungklumpen.

An einem Sonntagabend.

Da war diese Frau. Nach dem Versinken des Tageslichts tauchte sie auf. Jeden Sonntagabend, immer wieder, ohne Unterlass, schon seit Wochen. Am Anfang ließ sich Besorgnis in den Augen der Leute ausmachen, eine kleinmütige Anteilnahme. Da waren Fragezeichen, zwar kümmerlich und in schludriger Schrift skizziert, aber immerhin. Warum ist sie nackt? Warum weint sie stumm? … Weiterlesen An einem Sonntagabend.

Ein Mann mit Hut.

Er steht dort oben, der einsamste Mensch der Welt, alles ist dunkel, nur er ist erleuchtet, beleuchtet, das Scheinwerferlicht lässt Schweißtropfen aus seinen Poren dringen, mit dem Handrücken wischt er sich das fettige Glänzen von der Stirn und schiebt dabei den Hut ein wenig nach oben, es ist eine Melone, niemand trägt mehr Melonen in … Weiterlesen Ein Mann mit Hut.

Kein Rassist, aber.

Ich bin kein Rassist, aber. In den meisten Fällen steht zwischen diesem kurzen Bekenntnis und dem Punkt am Satzende etwas Rassistisches. Alle Albaner sind kriminell. Alle Schwarzen verkaufen Drogen am Bahnhof. Alle Serben sind gewalttätig. Alle Amerikaner sind bekloppt. Alle Muslime sind Terroristen. Alle Russen sind homophobe Trinker. Ich bin kein Rassist, aber. Dann der … Weiterlesen Kein Rassist, aber.

Der braune Fleck.

Zum ersten Mal traf ich Matthias in der Berufsschule. Ich trug eines jener T-Shirts, auf welchem ein Strichmännchen aufgedruckt ist, das ein Hakenkreuz in einen Papierkorb wirft. Ich trug es wohl, weil ich wenig sprach und dennoch etwas sagen wollte. Jedenfalls kam er zu mir hin und fragte mich, ob ich wirklich gegen Nazis sei. … Weiterlesen Der braune Fleck.

Der Sänger.

Wenn in einem gut besetzten Zugabteil ein offensichtlich leicht geistig behinderter Mann sehr laut und sehr falsch singt, ist es angebracht, verärgert und genervt zu reagieren und gegebenenfalls mit Nachdruck um Ruhe zu bitten. Natürlich tut man es nicht. Man weist keine behinderten Menschen zurecht, man hindert sie nicht daran, ihre Gefühle in akustischer Form … Weiterlesen Der Sänger.

Gleich verschieden.

Wir sind alle gleich, doch wir sind alle gleich erzürnt, sobald jemand anders ist. Wir wären so gern einzigartig und finden es eigenartig, wenn jemand andersartig ist. Wir wollen Grenzen überschreiten, doch wir setzen Grenzen, wer die Grenze zu uns überschreiten darf. Wir gestatten jedem seine Meinung, doch wer unsere Meinung nicht teilt, dem sagen … Weiterlesen Gleich verschieden.

Hautsache.

Er mag sie nicht. Da stehen zwei junge Männer, einige Meter von ihm entfernt, und er hat sie wahrscheinlich noch nie zuvor gesehen, doch er mag sie nicht. Sie sind nicht die einzigen, die am Bahnhof stehen, nicht die einzigen, die sich lauthals unterhalten, nicht die einzigen, die miteinander lachen, doch sie sind die einzigen, … Weiterlesen Hautsache.