Die alte Frau liebt Tiere, eigentlich alle, abgesehen von Mücken und Wespen vielleicht, und Mäuse, irgendwie, Mäuse machen ihr Angst, warum auch immer, und als sich eines Tages eine Maus in ihre kleine Wohnung verirrt, fühlt sich die alte Frau sehr unbehaglich, so unbehaglich, dass sie ihren Nachbarn um Hilfe bittet, einen älteren Herrn, er war früher General oder Kommandant oder sonst etwas Wichtiges beim Militär, er ist groß und breit und forsch, der Rücken ist gerade, und natürlich hilft er der alten Frau, kommt zu ihr in die Wohnung, sieht sich um, und als er die Maus erblickt, reagiert er blitzschnell und tritt sie mit seinen schweren Stiefeln platt, einfach so, dann sagt er So! und verbeugt sich und geht, und die alte Frau kniet sich vor die tote Maus hin, starrt auf das merkwürdige Ding aus Fell und Blut und Innereien, während sich ihre Augen allmählich mit Tränen füllen.
Da ist ein neuer Junge in der Klasse, er stamme aus einem anderen Land, sagt die Lehrerin, vieles sei noch neu für ihn, sagt sie, und der Junge, er sagt nichts, kein Wort, hockt stumm auf seinem Stuhl, und zwei Tage später bemerkt ein anderer Schüler, dass sein Wunderstift fehlt, ein Stift, mit dem man in vier verschiedenen Farben schreiben kann, sein absoluter Lieblingsstift, und jetzt ist er einfach weg, und man müsse ja nicht lange überlegen, wer den Wunderstift genommen habe, sagen einige, und obwohl der neue Junge abstreitet, den Diebstahl begangen zu haben, ist die Sache klar, und beim nächsten Elternabend in der Schule diskutieren die Eltern aufgeregt, sind entrüstet und empört, und einer sagt, das habe man nun davon, und einige andere nicken heftig.
Die Luft ist stickig und heiß, doch das tut der Stimmung keinen Abbruch, die Leute im Club sind ausgelassen und heiter, die Musik ist laut und hektisch, die Körper zucken im flackernden Licht, und zwischen all den Menschen tanzt eine junge Frau mit geschlossenen Augen und lächelndem Gesicht, sie bewegt sich geschmeidig und elegant, ziemlich erotisch, und ein junger Mann nähert sich ihr immer mehr an, mit eisigen Blicken und seltsamen Bewegungen; sie bemerkt ihn nicht, aber das hält ihn nicht ab, er kommt immer näher, und dann beginnt er, sie zu berühren, zunächst nur leicht, beinahe zufällig, doch dann immer bestimmter, seine Hände sind an ihren Brüsten und zwischen ihren Beinen, bevor sie überhaupt merkt, wie ihr geschieht, und dann reißt sie die Augen auf und blickt sich um, starrt angsterfüllt in die tanzende Menge, sucht sich einen Weg durch das Gedränge und stürzt ins Freie, wo sie sich übergeben muss, während einige Leute rauchend danebenstehen und mitunter grinsend die Köpfe schütteln.
Ein älterer Mann steuert seinen großen Mercedes-Benz auf den Parkplatz, und weil die vorteilhafte Reihe gleich beim Gebäudeeingang komplett besetzt ist, stellt er sein Auto auf dem Behindertenparkplatz ab, steigt aus und reckt das Kinn, und als ihn jemand darauf hinweist, dass er auf einem Behindertenparkplatz stehe, winkt er nur verächtlich ab.
Der Zug sollte schon längst eingefahren sein, er ist mehrere Minuten verspätet, und die Wartenden am Bahnhof blicken immer wieder auf die Anzeigetafeln und die Uhren, als könnten sie mit ihren flehenden Blicken die Ankunft des Zuges forcieren, und manche beginnen nervös umherzugehen, andere schütteln ihre Köpfe, und dann, endlich, kommt die Durchsage, die blecherne Stimme erklärt, dass sich die Ankunft des Zuges wegen eines Personenunfalls verzögert, und man weiß ja, was das in der Regel bedeutet; jemand hat sich vor den Zug geworfen, und einige der Wartenden werfen ihre Hände in die Luft und schütteln ihre Köpfe noch heftiger, andere blicken entnervt zum Himmel, ein Mann sagt relativ laut, dass er nun wegen diesem verdammten Trottel zu spät dran ist, eine ältere Frau erläutert ihrer Begleiterin, wie verwerflich sie es findet, wenn sich ein Mensch das Leben nimmt, und jemand wispert Arschloch, ohne zu erklären, wen er damit meint.

Wundervolle Beispiele, lieber Disputnik.
Du hast herausgepickt, was Sache ist, was viel zu oft vorkommt, bei dem ich mich schäme, daß es so ist, wie es ist.
*und einer sagt, das habe man nun davon, und einige andere nicken heftig.*
und mir dreht sich der Magen um, was es für den kleinen Kerl bedeutet haben mag, der vielleicht nicht mal weiß, was so ein Wunderstift überhaupt ist, von dem nun auch schon die Eltern reden…, kann aber auch sein, daß er es weiß, daß er neidisch war, sich aber nie getraut hätte, ihn seinem stolzen Besitzer wegzunehmen…
Liebe Grüße von Bruni
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Oh, vielen herzlichen Dank dir, liebe Bruni… Aber schämen müsstest ja eigentlich nicht du dich, sondern andere sich; eben jene, die Respekt und Mitgefühl häufig vermissen lassen. Doch allzu oft kommt bei diesen dabei wohl auch das Schamgefühl abhanden… Liebe Grüsse!
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Wenn das Mitleid schon nicht mehr vorhanden ist, dann ist da wohl auch kein Schamgefühl und viel zu oft ist es so…
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Oh ja, allzu oft… Bewahren wir es uns… Herzliche Grüsse
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Starker, ehrlicher Tobak! Danke dafür!
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Und ich danke dir fürs Lesen und für deine Worte!
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Für mich der Text des Tages!
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Oh, schön, das freut mich sehr!
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Hat dies auf WorTüfteleien rebloggt und kommentierte:
Ich möchte diese ZeilenWorte von disputnik mit euch teilen, ich denke wenn ihr sie lest, versteht ihr…
… auch kam mir eine Erinnerung in den Sinn, da war ich damals so faungslos, so entsetzt wie ich sehr oft über mitMenschen und ihre unbedachten Worte bin…
Eine junge Frau nimmt drei Mitfahrer mit, vier sich unbekannte Menschen bei Sommerhitze in einem vollen Auto, ohne Klimaanlage, auf einer etwa 450 km langen Strecke zur Hauptpendler Zeit- es ist kein Vorwärts kommen, ständig Stau, an jeder Baustelle und kleinere Unfälle…
Die Mitfahrer werden immer ungeduldiger und genervter, die junge Frau denkt und sagt wir kommen an wenn es Zeit ist, da brauchen wir uns keinen Stress machen…
Dann ging es mal fast 50km gut. Fahren am Stück, doch kurz vorm Ziel wieder Stau. Stillstand. Die Mitfahrer regen sich auf, meckern auch die Geduld der jungen Frau wird genervter, weil sie die nervenden Mitfahrer mit ihrem Schimpfen bald nicht mehr erträgt…
Endlich setzten sich die Autokolonne wieder vorwärts. Blaulicht, Krankenwagen-Polizei auf dem linken Fahrbahnstreifen- drei Spuren Vollsperrung. Nur über den Standstreifen wird der Verkehr am Unfallort vorbei geführt.
Ein Motorrad liegt zertrümmert auf der Fahrbahn, fast 100m weiter liegt ein Körper-
– abgedeckt.
Die Autos rollen still vorbei, auch die Mitfahrer schwiegen…
… an der nächsten Raststelle springt die junge Frau aus dem Auto, übergibt sich, steigt ein und fährt weiter…
…
Manchmal wünschte ich mir ein bisschen mehr mitGefühl und nächstenLiebe…
Danke für deine Worte, vielleicht wecken sie den ein oder anderen ein wenig auf und lassen nachdenken über die eigenen WortGedanken.
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Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und fürs Teilen und Mitteilen deiner Erinnerungen! Ja, mehr Mitgefühl wäre häufig wünschenswert, unbedingt… Herzliche Grüsse…
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Erschreckend alltäglich, verstörend banal, traurig wahr.
Einmal mehr genial auf den Punkt gebracht. Super!
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Und einmal mehr vielen lieben Dank fürs Lesen und für deine Worte! Herzliche Grüsse….
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