Gregoria ist verärgert.

Gregoria ist verärgert, sie ist wahrlich verärgert, nicht immer, aber doch ziemlich häufig, sehr häufig sogar, denn das Wort ziemlich ist ziemlich relativierend, fast so relativierend wie das Wort relativ, und Gregoria ist nicht relativ häufig verärgert, auch nicht ziemlich häufig verärgert, sondern sehr häufig verärgert, sie ist auch verärgert über Wörter wie ziemlich und … Weiterlesen Gregoria ist verärgert.

Kopfschüttler.

Es ist ein sehr lautes Kopfschütteln, der Klang erinnert an ein rostiges Gartentor, was eigentlich überraschend ist, denn Herr und Frau Kopfschüttler sind durchaus geübt im Kopfschütteln, sie tun es häufig und meistens synchron, ab und zu unterbrochen von einem «Tststs» oder einem «Ach» oder einem anderen Laut, der Missbilligung und Unverständnis zum Ausdruck bringen … Weiterlesen Kopfschüttler.

Tim oder Tom.

So jung kommen wir nicht mehr zusammen, sagte Dirk, und Olli redete darüber, wie die Zeit sich so beeilt und so wenig bleibt von dem, was einmal war, und David meinte, dass wir Helden sein könnten, nur für einen Tag, doch der Tag, er kam nicht, niemand wurde ein Held, höchstens Tim oder Tom, der … Weiterlesen Tim oder Tom.

Gerda sah ganz anders aus.

Die anderen Mädchen waren die anderen Mädchen. Manche sahen sich sehr ähnlich, manche nicht, manche waren süß, manche nicht, aber eigentlich sahen die meisten Mädchen ganz normal aus, nur Gerda nicht. Gerda sah ganz anders aus. Mit ihren roten Zöpfen hätte sie eigentlich an Pippi Langstrumpf erinnern müssen, doch wenn man bei Gerdas Anblick an … Weiterlesen Gerda sah ganz anders aus.

Orion.

Der riesenhafte Jäger Orion befreite die Insel Chios von wilden Tieren. Dort verliebte er sich in Merope, die Tochter des Oinopion. Jedoch stimmte Oinopion einer Vermählung nicht zu. Wütend versuchte Orion, Merope mit Gewalt zu nehmen, was ihren Vater veranlasste, ihn betrunken zu machen und ihm die Augen auszustechen. Der erblindete Orion aber schritt gegen … Weiterlesen Orion.

Rost.

Das Fragezeichen ist wie das alte dunkelgrüne klapprige Fahrrad im Keller. Es ist da, und man weiß genau, wie man es verwendet, doch die Staubschicht wird dicker, die Spinnweben werden allmählich zu dünnen Tüchern. Man mag das Fahrrad durchaus, als Kind saß man stundenlang auf dem weichen Sattel, dessen Naht an der Seite ein wenig … Weiterlesen Rost.

Tollwut.

Normalerweise fährt er weiter. Zwar betrübt ihn der Anblick, selbst wenn er nur eine Sekunde währt, doch er hält nicht an. Das arme Tier, denkt er vielleicht, und manchmal fühlt er sich böse, obwohl nicht er es war, der das Geschöpf zu Tode fuhr. Er hat noch nie ein Lebewesen überfahren. Aber es könnte geschehen, … Weiterlesen Tollwut.

Ein merkwürdiger Mann.

Als seine Eltern und auch die anderen Mütter und Väter in den Nachbarschaft über einen merkwürdigen Unbekannten zu reden begannen, der sich offensichtlich in der Nähe herumtrieb, fühlte sich Max irgendwie seltsam. Er wusste gar nicht, warum das alles so unangenehm wirkte, doch in jedem Fall glaubte er sich belogen und für dumm verkauft. Die … Weiterlesen Ein merkwürdiger Mann.

Ein Bein ist kürzer.

Wir winden uns, so gut es geht, winden uns um alle Ecken und raus aus dem Gröbsten, wir geraten ins Trudeln und trunkene Wanken, obschon wir vollkommen nüchtern sind, vielleicht zu nüchtern für jedes Hier und Jetzt. Ein Bein ist kürzer als das andere, war es schon immer. Man hat uns damals nichts gesagt, man … Weiterlesen Ein Bein ist kürzer.

Mitfahrgelegenheit.

Die Zeit wirft Falten, zieht Furchen in die Flächen, durchdringt die Schichten der Haut. All die Begriffe wie Zukunft und Freiheit und Perspektiven, sie werden immer mehr zu Hohlräumen, brüchig an den Kanten. Früher schwebte sie mit Fremden durch trunkene Nächte, unterwegs durch ungewisse Landschaften. Ihre Mutter warnte sie davor, sich mit erhobenem Daumen an … Weiterlesen Mitfahrgelegenheit.

Enttäuschende, Kinder.

In einem wunderbaren Film erzählt eine junge Frau davon, wie sie von ihrem Vater physisch und psychisch missbraucht wurde, doch sie schildert nicht die Fakten, sondern liest eine kurze Kindergeschichte vor, die sie geschrieben hat, und diese Kindergeschichte, sie handelt von einem Oktopus, der einen Freund sucht und glaubt, diesen in einem Hai gefunden zu … Weiterlesen Enttäuschende, Kinder.

Die Lüge der Zeit.

Manchmal hört er die alten Lieder. Einige klingen seltsam dumpf, als spielte man sie in einer Höhle oder unter einer Decke. Andere hingegen hallen im Innern wieder, der ganze Körper ist ein Resonanzkasten, alles ist so präsent, so gegenwärtig. Musik, wie auch Filme oder Bücher oder Bilder, sie altern nicht linear und gleichmäßig. Er ist … Weiterlesen Die Lüge der Zeit.

Grand Canyon.

Bei der Geburt war noch Weite. Da waren unermessliche Dimensionen, und sie wuchsen sogar noch an mit den Jahren, und als man ihr irgendwann sagte, dass die Welt nicht dort aufhöre, wo der Himmel den Baumwipfeln begegne, war sie verwirrt. Schon die Dinge, die sie sehen konnte, passten nicht in ihren Kopf, waren zu üppig, … Weiterlesen Grand Canyon.

Winzige Diamanten.

Mit feinen Nadeln dringt die Kälte unter seine Haut, die Muskeln angespannt, um den Körper vor stetem Zittern zu bewahren. Im fahlen Schein einer alten Straßenlaterne glitzert der Asphalt vor ihm, winzige Diamanten auf schwarzem Grund, und er weiß nicht, ob der Boden lediglich feucht ist oder sich eine Eisschicht gebildet hat. Die kahlen Bäume … Weiterlesen Winzige Diamanten.

Wir müssen aufpassen, dass wir keine Finger im Ärmel verlieren.

Als ich seinen kleinen Arm sanft in den Ärmel führe, sage ich ihm in gespieltem Ernst, wir müssten aufpassen, dass die Hand nicht im Ärmel verloren gehe. Er hat keine Angst, doch er schaut gespannt auf die Öffnung am Ende des weichen Stofftunnels, und als die ersten Finger auftauchen, lacht er laut auf, und wir … Weiterlesen Wir müssen aufpassen, dass wir keine Finger im Ärmel verlieren.

In der Nacht zwischen gestern und heute.

Gestern war alles so leicht, so frei, so bunt auch, beseelt von Unbeschwertheit, manchmal für Augenblicke zerstört, jedoch umgehend regeneriert. Gestern, das war ein leerer Plastiksack, tanzend im Wind, das waren Pusteblumen und Staumauern im Bach, die Welt hörte am Horizont auf und war dennoch unendlich. Heute schleppen wir unsere gepackten Koffer, mähen den Rasen … Weiterlesen In der Nacht zwischen gestern und heute.

Keine Fragen mehr.

Vielleicht sind wir müde, vielleicht frustriert, vielleicht haben wir bereits resigniert oder halten uns für klug. Wir haben aufgehört, Fragen zu stellen. Bichsel schrieb einst, Kinder lebten in Fragen, Erwachsene jedoch nur noch in Antworten. Aus «Warum gibt es Kriege?» wurde «Es gibt Kriege, es muss sie halt geben.» Fragen zu stellen bedeutet doch, etwas … Weiterlesen Keine Fragen mehr.