Als seine Eltern und auch die anderen Mütter und Väter in den Nachbarschaft über einen merkwürdigen Unbekannten zu reden begannen, der sich offensichtlich in der Nähe herumtrieb, fühlte sich Max irgendwie seltsam. Er wusste gar nicht, warum das alles so unangenehm wirkte, doch in jedem Fall glaubte er sich belogen und für dumm verkauft. Die Erwachsenen, sie wackelten mit ihren Zeigefingern und mahnten, er dürfe auf keinen Fall mit fremden Männern reden und vor allem nicht in deren Autos einsteigen, doch das wusste Max eigentlich bereits, und wenn er nachfragte, kam als Antwort höchstens, dass es böse Menschen gebe, die ihm vielleicht sogar etwas antun könnten, und auch das wusste Max bereits, das hatte er bei Aktenzeichen XY … ungelöst gesehen, ebenso im Film Es geschah am helllichten Tag. Sie trugen häufig einen Mantel, die bösen Männer, also achtete Max auf Männer im Mantel, doch es war Sommer, niemand trug einen Mantel. Er fragte seine Eltern, wie er einen bösen Mann erkennen konnte, wenn er keinen Mantel trug, doch sie konnten es ihm nicht sagen.
Eines Tages sah er einen merkwürdigen Mann. Er trug ein merkwürdiges Hemd aus merkwürdigem Stoff, in seinem merkwürdigen Gesicht war ein merkwürdiger Schnurrbart, seine Haare waren merkwürdig, sein Gang war merkwürdig, alles an ihm war irgendwie merkwürdig, und Max war überzeugt, dass es sich um jenen merkwürdigen Mann handeln musste, von dem die Erwachsenen erzählten. Er versuchte, dem Mann möglichst unauffällig zu folgen, blieb weit zurück, um im Notfall wegrennen zu können. Der merkwürdige Mann spazierte unerträglich langsam neben der ruhigen Straße dem kleinen Bach entlang, blickte sich immer wieder um, starrte manchmal reglos ins plätschernde Wasser und schaute dann wieder abrupt nach oben, wo Wolkenfetzen über den Himmel trieben. Er sah sehr verdächtig aus, fand Max und fühlte sich allmählich unsicher, vor allem, wenn er glaubte, dass der merkwürdige Mann in seine Richtung sah. Schließlich versteckte sich Max hinter einigen Büschen, wartete einige Minuten und eilte dann nach Hause.
Mehr ereignete sich eigentlich nicht. Max sah den merkwürdigen Mann nicht mehr. Erst einige Wochen später wagte er es, seinen Eltern von seiner Beobachtungen zu erzählen, doch sie zuckten nur mit den Schultern und schienen gar nicht zu wissen, wovon er sprach. Trotzdem war der Unbekannte weiterhin in der Nähe, drohte in jedem Moment um die Ecke zu kommen und ihn anzusprechen, mit klebrigen Bonbons in seinen riesigen Händen. Manchmal kauerte Max ganz still hinter den Büschen, starrte durch die Zweige auf den kleinen Gehweg am Bach und wartete, dass der merkwürdige Mann wieder auftauchte. Er kam nicht. Und blieb doch immer da.

So ist es tatsächlich. Durch die unklaren Worte der Erwachsenen wuchs in den Fantasien von Max ein merkwürdiger Mann aus dem Boden und er ließ ihn nicht mehr los, weil er keine Erklärungen bekam, nicht wußte, was sei meinten, von was sie sprachen.
Sie beschworen ein Gespenst herauf, an das er sich noch als Erwachsener erinnern wird…
Ein einfühlsames Gespräch und Antworten auf seine nicht gestellten Fragen hätten ihm mehr geholfen, als ihre diffuse Andeutungen und einem uninteressierten Schulterzucken später, als er von sich aus erzählte, daß da ein Mann war…
Aber ich glaube nicht, daß verantwortungsvolle Eltern mit einem Schulterzucken reagiert hätten, lieber Disputnik
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Herzlichen Dank für deine Gedanken und Worte, liebe Bruni… Und ja, ein einfühlsames und verbindliches Gespräch hätte ihm zweifellos mehr geholfen in diesem Moment, aber vielleicht gehören solche Leerstellen einfach zu einer Kindheit dazu, womöglich müssen sie es sogar… Nochmals lieben Dank und beste Grüsse….
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Danke für viele merkwürdige Gedanken, die mir jetzt durch den Kopf gehen.
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Herzlichen Dank dir; fürs Lesen und fürs Zulassen der merkwürdigen Gedanken…
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