Atomar.

Draußen vor dem Fenster zieht ein Atomkraftwerk vorüber. Der weiße Dampf steigt in den blauen Himmel, langsam und seltsam träge, als wäre er schwer und plump. Der Rest der Welt wirkt neben dem mächtigen Gebilde verschwindend klein, ordnet sich der Größe der Kühltürme unter wie kleine Insekten einer riesigen Königin. Es scheint unmöglich, ein Atomkraftwerk … Weiterlesen Atomar.

Und vielleicht sogar Magie.

Sie wundert sich darüber, dass es in Filmen manchmal so wirkt, als würden sich die Räder eines Autos rückwärtsbewegen, obwohl das Auto vorwärtsfährt. Sie findet dieses Phänomen äußerst merkwürdig, rätselhaft, geradezu faszinierend. Und weil sie nicht genau weiß, woran es liegt, und sich auch nicht sonderlich stark darum bemüht, es herauszufinden, bewahren sich die rückwärtsdrehenden … Weiterlesen Und vielleicht sogar Magie.

Ismo in Gedanken.

Ismo mag seinen Vornamen nicht, weil er so speziell ist, doch er mag, dass sein Vorname speziell ist, und wenn schon der Vorname für Verwirrung sorgt, verwundert es nicht, dass Ismo auch sonst häufig ein wenig durcheinander ist. Ismo tanzt wie Michael Jackson, zumindest versucht er es, aber nur, wenn ihn niemand sieht. Ismo liebt … Weiterlesen Ismo in Gedanken.

Sie denkt an Thomas.

Sie schließt die Augen und denkt an Thomas, den dürren Thomas mit der krummen Nase. Sie hat Thomas nie gemocht, damals in der Grundschule. Zwar hat er niemals etwas Böses getan, doch er war irgendwie lästig, ein unangenehmer Zeitgenosse, zudem war seine Stimme fürchterlich schrill, beinahe klirrend. Einmal spielten sie Fangen auf dem Pausenplatz, und … Weiterlesen Sie denkt an Thomas.

Großvater angelt.

Eines Tages fiel der Großvater beim Angeln von einem Stein wie ein Stein ins Wasser und war tot. Sie hat den Großvater nie gekannt, denn als er fiel, war sie gerade eine Woche alt, und in diesem Alter kennt man niemanden, erkennt höchstens die eigenen Eltern als vertraute Wesen und findet die großen Nasen lustig. … Weiterlesen Großvater angelt.

Ihr Freund.

Wenn sie allein ist, ist sie nicht allein, und weil sie nicht allein ist, wenn sie allein ist, ist sie nie allein. Sie hat einen Freund, den nur sie sehen kann. Sie weiß, dass niemand sonst diesen Freund sehen kann, und sie weiß, dass dieser Freund niemanden sonst sehen kann, nur sie. Es ist ein … Weiterlesen Ihr Freund.

Prothesen.

Eine wohlmeinende Stimme hatte ihr noch abgeraten, und natürlich klang die wohlmeinende Stimme wie die Stimme ihrer Mutter, alle wohlmeinenden Stimmen klangen wie die Stimme ihrer Mutter, aber auch dieses Mal kam der Ratschlag nicht von ihrer Mutter, sondern von einem anderen Menschen, ihre Mutter war noch immer tot, wie jeden Tag, seitdem sie gestorben … Weiterlesen Prothesen.

Schnitzel.

Eine Zeit lang bleibt alles still. Dann beginnt es wieder. Das dumpfe Hämmern ist gleichmäßig und eintönig, ein starrer Rhythmus. Sie betrachtet einen kleinen Fleck an der Decke. Er war schon immer da, der Fleck, so scheint es zumindest; sie kann sich nicht erinnern, dass da kein Fleck gewesen wäre. Der Fleck ist essenziell, und … Weiterlesen Schnitzel.

Hitler töten.

Mindestens einmal pro Woche fährt Anja ans Meer. Obwohl, sie fährt nicht wirklich, der Weg ist nicht das Ziel, der Weg spielt keine Rolle. Sie ist einfach da, am Meer, ganz allein, die Luft ist salzig, der Horizont ist leicht gewölbt. Sie kann entscheiden, welche Stelle sie aufsucht, sie kann wählen, ob sie im Sand … Weiterlesen Hitler töten.

Cocktail.

Sie erzählt davon, wie sie am Vorabend nackt ins Wasser gesprungen sei, an jener Stelle, an welcher der Kanal in den See mündet, und wenn dann jemand sagt, er sei am Vorabend auch dort gewesen, an eben jener Stelle, den ganzen Abend lang, dann ist sie leicht irritiert, aber nur kurz, ach, dann haben wir … Weiterlesen Cocktail.

Nach dem Zauber.

Sie lebt in einem Haus mit einem Ziegeldach, und obschon sie schon lange dort wohnt, weiß sie noch immer nicht, wie die Ziegel auf dem Dach befestigt sind und wie es unter ihnen aussieht. Sie wundert sich, sie fragt sich, und eines Tages, mit Entschlossenheit unter den Rippen, beschließt sie, dem Wundern und Fragen ein … Weiterlesen Nach dem Zauber.

Fledermäuse.

An der Wand hängt ein Bild von Mahatma Gandhi, und in der Regel starrt er lediglich ein wenig schläfrig in den Raum, doch manchmal ist er damit beschäftigt, einen Zauberwürfel zu bearbeiten und die gute alte Perfektion der gleichen Farben wiederherzustellen, oder er isst einen Apfel, meistens Golden Delicious, oder er schneidet Grimassen, und jetzt … Weiterlesen Fledermäuse.

Unverschoben.

Wenn sie ehrlich mit sich ist, klappt die Sache mit dem Glücklichsein vor allem dann, wenn sie die Augen schließt. Aber Dina ist nicht sonderlich gut darin, ehrlich mit sich zu sein. Am Anfang ist alles schwarz. Dann rötlich, ein dunkles Orange vielleicht. Dann kommen die Bilder. Dina kennt die Frau nicht, und dennoch wirkt … Weiterlesen Unverschoben.

Michael Jackson.

Michael Jackson ist tot, und sie hat ihn umgebracht. Dabei liebte sie ihn, damals in der Schule, wie die meisten anderen Kinder auch, er war so anders und so schön, er war so weit weg und doch so nah, er war kein Mensch und ließ sie trotzdem spüren, dass sie selbst ein Mensch war. Michael … Weiterlesen Michael Jackson.

Nichts zu sehen.

Die Menschen sind über die banalen Sessel gestreut, ein Eisenbahnwagen voller Existenzen, die sich nicht berühren; man lebt und atmet hier nebeneinanderher und aneinander vorbei, und wahrscheinlich ist es allen recht so. Man ist sich fremd, aber zumindest ist man vereint im Fremdsein. Zwischen all den Gesichtern, die keine Geschichten erzählen mögen, ist eines, das … Weiterlesen Nichts zu sehen.

Das verlorene Schloss.

Man fährt beinahe täglich, mit dem Zug oder mit dem Auto, daran vorüber, an jenem verwitterten Schild, das den Weg durch den Wald zu einem Schloss weist. Das Schild hat Rost angesetzt, eine Ecke ist leicht abgeknickt. Das Schloss selbst steht in einer Waldlichtung auf einer kleinen Anhöhe. Im Sommer, wenn die Bäume ihr dichtes … Weiterlesen Das verlorene Schloss.

Kokosnusslikör.

Am Ende eines warmen Tages saß man dort, am Waldrand beim kleinen Felsen. Ein Feuer brannte, mitunter viel zu heiß und hell. Man trank Bier und Wein und klebrigen Kokosnusslikör, man rauchte Gras und Zigaretten, und hin und wieder lachte jemand völlig ohne Grund. Aus einem kleinen Radio mit CD-Spieler erklang Musik von Tocotronic. So … Weiterlesen Kokosnusslikör.

Bruchteile.

Die Finger stolpern zunächst zaghaft über die nackte Haut, beinahe schüchtern, als wäre da eine Gefahr, der sie sich zu erwehren hätten. Sie gleiten vorsichtig über den Hals und die Schulterknochen, suchen sich dann Wege zwischen den Brüsten hindurch zum Bauch, zu den Hüften, zum Schoss. Allmählich werden sie bestimmter, die Bewegungen drängender. Sich zu … Weiterlesen Bruchteile.

Der Vatermörder.

Irgendwo in einem kleinen Ort in der Nähe einer Stadt, in der man noch nie war, bringt ein junger Mann seinen Vater um. Man liest davon in der Zeitung, eher zufällig, eine kleine Meldung, denn die Informationen sind noch dürftig. Der Sohn ist gut zwanzig Jahre alt, der Vater war sechsundsechzig, er wurde erstochen aufgefunden, … Weiterlesen Der Vatermörder.