Irgendwo in einem kleinen Ort in der Nähe einer Stadt, in der man noch nie war, bringt ein junger Mann seinen Vater um. Man liest davon in der Zeitung, eher zufällig, eine kleine Meldung, denn die Informationen sind noch dürftig. Der Sohn ist gut zwanzig Jahre alt, der Vater war sechsundsechzig, er wurde erstochen aufgefunden, und der Sohn hat sich gestellt, den Mord gestanden. Mehr weiß man nicht, und mehr will man vielleicht gar nicht wissen. Man fragt sich nur, was geschehen muss, bis so etwas geschehen muss. Man fragt sich, wie dunkel die Flecken auf der Seele sein müssen, wie tief die Schnitte im Fleisch. Man fragt sich, wann und weshalb der Hass zu keimen begann, oder ob da gar kein Hass war. Man ist selbst Vater, man ist selbst Sohn, und die schwarzen Buchstaben auf dem weißen Zeitungspapier lassen kein Bild entstehen, wirken seltsam krumm und fremd.
Am Ende reimt man sich etwas zusammen, kreiert ein Narrativ, eine erfundene Geschichte, und natürlich ist sie nicht wahr, aber vielleicht auch nicht viel unwahrer als das, was am nächsten Tag in der Zeitung stehen wird. Man bastelt sich eine Version der Geschehnisse, ohne Anspruch auf Richtigkeit, sondern nur, um den offenen Fragen etwas entgegenzustellen, auch wenn es keine Antworten sind. Man versucht, den Rahmen, den der Vatermord bietet, mit kleinen und großen Dingen zu füllen, bis daraus ein Bild entsteht, eine zittrige Skizze mit ungenauen Strichen und diffusen Strukturen, eine Interpretation voller Leerstellen, alles wirkt seltsam krumm und fremd, aber immerhin ist es ein Bild.
Irgendwo in einem kleinen Ort in der Nähe einer Stadt, in der man noch nie war, bringt eine junge Frau ihr Kind um. Man liest nichts davon, eher zufällig. Und somit ist es eigentlich gar nicht passiert.

Der Vatererschaffer
Am Anfang war Liebe
Oder Flucht vor dem Hass
In den Körper des Anderen
Sex als Flucht vor dem Alleinsein
Und dann der Kater
Noch mehr Selbsthass
Unerträglich nur in der Lüge
Dem das darf nicht sein Weg damit
Vernichtung Nichtung Rache Tod
Wo ist mein Vater fragte der Knabe
Im Krieg gefallen Die Mutter
Der Knabe weint im Bett
Lieber Gott laß Es Meinem Vater im Himmel
Gut gehen
Mit elf zwölf Die Halbschwester zu Ihm
Du Ich sage Dir jetzt ein Geheimnis
Dein Vater wohnt im Nachbarstattleil
Alle Mütter sind
Alle Väter sind
Der Staat Vater Staat ist
Die Kirche ist
Amoralisch betet die Angst an Ihren
Ersten Komplitzen die Lüge
Und Ich
Opfer Täter und Retter
Wie das heilen
Mich selbst neuerschaffen
Oder auch beiseitigen
Mord seelischer dabei war der
Krieg erst fünfundzwanzig Jahre
Zuende Nein abgebrochen
Unterbrochen verlagert nur
Denn Er geht ja weiter
Heute bin Ich Vatermuttersohn
Mensch menschlich heil
Denn Wir haben nie einen
Apfel im Paradies gestohlen
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Vielen lieben Dank dir für deine Worte, für dein Eintauchenlassen in diese Geschichte…
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Da hast Du recht, lieber Disputnik, nicht alle Flecken sind zu erkennen und ihr Ursprung schon gar nicht, weil es scheinbar keine Gründe dafür gibt – und immer gibt es sie doch…
Bei sehr nahen Menschen wollen wir sie manchmal auch gar nicht sehen, der Andere sollte fleckenlos sein, aber es gibt keinen, der wirklich ganz ohne ist
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Hmmja, manchmal will man sie nicht sehen, und manchmal will man sie nicht zeigen, damit niemand sie sieht. Aber ja, fleckig/befleckt sind wir wohl alle…
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Die Flecken auf der Seele können so vieles bewirken.
Irgendwann gibt es einen Kurzschluss in den vielen Windungen des Gehirn und es passiert etwas
Unglaubliches, etwas Unvorstellbares und die Zeitungen berichten das, was sie meinen zu wissen…
Die Hintergründe, die blauen Flecken, die ins Herz wanderten, die beachtet keiner. Sie weinen weiter und keiner sieht es, doch etwas kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Es stand in der Zeitung und wir lasen davon
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Manchmal ist es wohl sogar bei ganz nahe stehenden Menschen so, dass man die Flecken auf deren Seelen nicht ergründen oder erklären kann, sie vielleicht gar nicht sichtbar werden. Und wenn es dann unerträglich wurde, ist es wohl noch immer nicht selbstverständlich, in die richtige Richtung zu blicken…
Vielen herzlichen Dank dir, liebe Bruni, und frohe Ostertage…
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