Herr S. unterhält sich häufig und gerne mit seinem Nachbarn. Er stammt aus Ägypten, ist ein hervorragender Arzt und außergewöhnlich freundlich. Herr S. kennt keinen Menschen, der so freundlich ist wie sein Nachbar, der Arzt. Ein Bekannter von Herrn S. sagte einst, dass er sich ganz sicher nicht von einem Ausländer behandeln lassen wolle. Herr S. verstand das nicht, schüttelte den Kopf und sagte, dass er das ziemlich ignorant fände. Eigentlich hatte er dumm sagen wollen, mochte aber keine Missstimmung auslösen. Herr S. mag seinen Nachbarn, den Arzt, lieber als seinen ignoranten Bekannten.
Herr S. hat eine heftige Auseinandersetzung mit einem Arbeitskollegen. Der Arbeitskollege behauptet, dass alle Schwarzen in der Stadt Drogendealer seien. Er nennt sie Neger, das sei ja nichts Böses, das sei lediglich eine Tatsache, und diese Neger, die seien eben allesamt Drogendealer, sagt der Arbeitskollege. Herr S. widerspricht empört, schüttelt den Kopf und argumentiert tapfer gegen die Engstirnigkeit seines Arbeitskollegen an. Als er am Abend nach Hause geht, kommt ihm ein junger Schwarzer entgegen. Herr S. schaut ihn aufmerksam an und lächelt womöglich ein wenig. Daraufhin fragt der Mann flüsternd, ob er Kokain kaufen wolle. Herr S. schüttelt stumm den Kopf und geht eilig weiter.
Herr S. verliebt sich in eine Frau. Sie ist schön und klug und humorvoll, eine wundervolle Person. Als die Frau ihn fragt, ob er ihre Eltern kennenlernen wolle, nickt Herr S. bereitwillig. Bald darauf sitzt er dem Vater seiner Freundin gegenüber, man isst gemeinsam Schweinebraten und Gemüseauflauf. Seine Freundin hat Herrn S. gewarnt, dass ihr Vater etwas altmodisch sei, irgendwie. Doch der Mann ist nicht altmodisch. Er ist zutiefst xenophob, rassistisch, sexistisch, homophob und von Vorurteilen zerfressen. Nach einem relativ ruhigen Anfang wird das Gespräch rasch energisch und kippt alsbald ins Bösartige. Als der Vater irgendwann knurrt, dass man das Flüchtlingspack einfach absaufen lassen oder erschießen sollte, steht Herr S. auf und geht. Seine Freundin läuft ihm nach, doch er bittet sie, ihn allein zu lassen.
Herr S. liest Zeitung, einen Artikel über einen Überfall mit versuchter Vergewaltigung. Er findet es furchtbar, dass viele Leute in solchen Fällen scheinbar automatisch davon ausgehen, dass der Angreifer ein Ausländer war. Ihm ist die Nationalität egal. Arschloch ist Arschloch. Trotzdem verwirrt es ihn, dass es auch ihn kümmert, ob der Täter ein Ausländer oder ein Einheimischer war. Dass er enttäuscht ist, dass der Artikel diesbezüglich keine Klarheit verschafft. Obwohl es doch eigentlich gar keine Rolle spielen sollte.
Herr S. reist nach Chile. Er kennt dort einen gleichaltrigen Mann, hat ihn bei einer Südamerikareise getroffen, seither sind sie Freunde und schreiben sich oft. Herr S. sitzt auf der Veranda des Hauses seines Freundes, sie trinken Wein, reden über die Welt und was mit ihr geschieht. Es fühlt sich gut an, dort zu sitzen, findet Herr S., er fühlt sich beinahe zu Hause, obwohl er Ausländer ist. Er blickt seinen Freund an und lächelt.

Ein wunderbarer Artikel, lieber Disputnik, der aufgreift, was ins Auge sticht, der erkennt, was wir sind.:
Menschen vieler Kulturen und verschiedener Hautfarben und daß die Toleranz der Menschen untereinander sehr zu wünschen überig läßt
Lieber Gruß von Bruni
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Vielen herzlichen Dank, liebe Bruni!
Ja, die Toleranz lässt vielerorts zu wünschen übrig, doch wenn man bei sich selbst beginnt, ist’s zumindest mal ein Anfang…
Liebe Grüsse…
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Das seh ich auch so!
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schöne sammlung an geschichten.
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Vielen lieben Dank dir!
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Sehr schön geschrieben. Vielleicht eine Spur zu optimistisch, aber sehr wahr!
Eine kleine Anmerkung möchte ich dazu loswerden, sie ist nicht repräsentativ, aber ich habe es so erlebt:
Ich habe mal ein Jahr lang auf einem Kreuzfahrtschiff gearbeitet.
Um knapp 2.700 Passagiere kümmerten sich 800 Besatzungsmitglieder.
Zu meiner Zeit umfasste die Besatzung teilweise Menschen aus mehr als 30 Nationen von allen Kontinenten und aus allen gängigen Religionen.
Es hat gut bis sehr gut funktioniert. Wo viele Menschen auf wenig Raum zusammen leben und arbeiten müssen, gibt es zwangsläufig die eine oder andere Spannung. Aber ich würde rückblickend sagen, dass alles ausnahmslos sehr friedlich und freundlich war.
Respekt! Das A und O von allem.
Denn was wir in diesem multikulturellen Schmelztigel nicht hatten, und was niemand braucht, weder an Bord eines Schiffes noch an Land oder sonstwo, das ist eine Gruppe von Menschen, die ihren Glauben oder ihre Überzeugung für eine Sache als die einzig gültige ansehen und diese mit körperlicher oder Waffengewalt anderen Menschen einhämmern wollen.
Dieser Punkt, diese Einsicht fehlt mir aktuell im gesellschaftlichen Miteinander in der Welt, wenn ich einen Blick auf die Nachrichten werfe.
So schlimm ich es finde, aber wenn sich speziell Europa nicht diesem „Mein Gott ist größer als dein Gott“-Terrorismus entschieden entgegenstellt, wird es ein sehr böses Ende nehmen.
Liebe Grüße
Camilla 😘
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Klingt wunderbar spannend, das Jahr im multikulturellen Mikrokosmos auf hoher See… Und ja, gerade solche Situationen beweisen doch eigentlich, dass wir doch grundsätzlich gut miteinander könnten, unabhängig davon, woher wir kommen. Wenn aber der notwendige Respekt abhanden kommt, ja, dann entgleiten die Dinge, mitunter recht heftig…
Herzlichen Dank dir fürs Lesen und für deine Gedanken! Liebe Grüsse…
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Wenn du magst, gebe ich dir mal den einen oder anderen Link für „Schiffsartikel“ bei mir. (Ich verlinke eigene Artikel auf anderen Blogs nicht ungefragt…)
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Gerne, ja, wenn du hier verlinken magst… So oder so lieben Dank…
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Habe mal ein kleines Sammelsurium an Erinnerungen zusammengetragen. Erwarte bitte keine detaillierten Beschreibungen des Schiffes oder aller 800 Mann an Bord, die 24/7 damit zu tun hatten, den Dampfer in Fahrt und die Gäste bei Laune zu halten. Hauptsächlich sind es Erinnerungen an einen der wichtigsten Menschen meines Lebens.
Wenn’s dich jetzt noch nicht abgeschreckt haben sollte, lies gerne hier weiter:
Auf hoher See | Frau von Welt. Diva. Mama. Hexe. Heilige. Zauberin. Dame.
https://sahnezumleben.wordpress.com/2017/03/01/auf-hoher-see/
Einen schönen Tag für dich und liebe Grüße
Cami 😘
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Vielen lieben Dank dir, gerne schaue ich dann mal rein in deine Erinnerungen ans Jahr auf hoher See!
Dir ebenfalls einen schönen Tag und liebe Grüsse zurück…
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❤ sehr schöner Text….
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Vielen lieben Dank dir!
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