Einer sitzt im Fußballstadion, mit zwanzigtausend anderen Menschen, und manchmal singen sie, manchmal rufen sie, manchmal klatschen sie. Als die Heimmannschaft ein Tor schießt, springen alle auf und jubeln, nur er nicht. Er bleibt sitzen und sieht sich um, stumm und still. Später gleicht die gegnerische Mannschaft aus, und andere Menschen jubeln, doch er bleibt erneut sitzen, rührt sich nicht von der Stelle. Irgendwann ist das Spiel zu Ende, niemand hat gewonnen, niemand hat verloren, und während die Zuschauer allmählich ruhig werden und das Stadion verlassen, springt er auf, jubelt und klatscht, hüpft und singt. Die Leute schauen ihn entrüstet an, doch das stört ihn nicht.
Eine steht vor ihrem Badezimmerspiegel und starrt hinein. Im inneren Ohr hört sie den Widerhall der Stimmen von Freundinnen und Freunden und Eltern und Geschwistern, und jede dieser Stimmen hat mindestens einmal gefragt, wann sie eigentlich vorhabe, schwanger zu werden. Sie werde schließlich nicht jünger, sie wolle doch nicht den Moment versäumen, eine Familie zu gründen, und überhaupt, sie könne ja nicht bis zu ihrem Lebensende alleine bleiben. Sie hört die Stimmen, sie werden lauter, und während sie weiter in den Spiegel schaut, stellt sich ein Pfeifen ein, schrill und hoch. Sie schüttet sich kaltes Wasser ins Gesicht, blickt sich wieder tief in die Augen, minutenlang, und allmählich nimmt das Pfeifen ab, die Stimmen werden leiser und verstummen. Als es wieder still ist im inneren Ohr, geht sie aus dem Badezimmer und löscht das Licht.
Einer steigt auf einen Berg und blickt vom Gipfel auf das weite Land, und obwohl – oder gerade weil – er ganz allein ist und niemand ihn hören kann, sagt er laut: Das gehört alles dir. Dann macht er sich an den Abstieg, und mit jedem Schritt, den er der Welt dort unten, seiner Welt, näher kommt, wächst der Widerwille in ihm, und als er am Fuß des Berges angekommen ist, blickt er hinauf zum Gipfel, die Sehnsucht glitzernd im Augenwinkel. Schließlich füllt er seine Feldflasche mit frischem Wasser und steigt wieder auf den Berg.

Beeindruckend, diese Impressionen, lieber Disputnik, wobei die letzte davon bei jedem mal lesen wieder neu Gänsehaut bei mir erzeugt, toll geschrieben!!
Und mit dem Fussballzuschauer könnte ich mich sogar fast identifizieren, so ich denn wirklich mal in ein solches Stadium gehen würde…
Liebe Frühlingsgrüße vom Finbar an dich!
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Vielen herzlichen Dank dir, lieber Finbar, freut mich, dass dir die kleinen Widerstände gefallen…
Ich würde im Stadion wohl vor allem die Zuschauermenschen beobachten, nicht das Spiel…
Liebe Grüsse zurück!
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Natürlich, die sind ja viel interessanter als so ein simples Gerenne um einen Ball! 🙂
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Auf jeden Fall, ja!
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