Er gibt sich wirklich Mühe. Er lässt sich Zeit. Er hat Kerzen angezündet, mit Vanilleduft. Sie verspürt einen leichten Brechreiz, aber er hat es zweifellos gut gemeint.
Seine feuchten Lippen eilen über ihren Bauch. Hin und wieder ertönt ein sabberndes Geräusch, es klingt, als würde ein sehr alter Hund abgestandenes Wasser aus einem Edelstahlnapf schlürfen. Sie lacht kurz auf. Dann denkt sie an die hungernden Kinder in Äthiopien, sie sieht die aufgeblähten Bäuche und die Fliegen auf den Gesichtern und erinnert sich, dass sie heute ein großes Schinkensandwich nach zwei Bissen weggeworfen hat, weil sie keinen Appetit mehr hatte.
Er hält inne und blickt sie prüfend an, und sie merkt, dass sie ihr Abschweifen wohl nicht erfolgreich verbergen konnte. Nicht aufhören, flüstert sie, mit roter Klangfarbe in der Stimme, und nach einigen Sekunden setzt er seine Bemühungen fort. Seine Hände stolpern über ihre Brüste, er klemmt ihre Brustwarzen zwischen die Finger und dreht an ihnen, als wolle er bei einem Radiogerät die Lautstärke hochschrauben. Sie atmet ein wenig heftiger, stöhnt ein wenig lauter, während in ihrem Kopf eine Zeitungsmeldung erscheint, über eine junge Frau, die von vier Männern belästigt wurde. Sie schütteten ihr Bier ins Gesicht, dann vergewaltigten sie die Frau, einer nach dem anderen. Einer filmte mit dem Smartphone. Mit aller Kraft drängt sie die Gedanken fort, presst ihre Augen zusammen, um die Bilder zu verwischen. Was ist los, flüstert eine Stimme irgendwo in der Ferne zwischen ihren Brüsten. Alles okay, gibt sie zurück. Alles gut.
Ein wenig überstürzt bewegt er seinen Kopf zwischen ihre Beine. Seine Lippen saugen und küssen im wilden Wechsel, seine Zunge wirbelt und irrt umher. Er gibt sich wirklich Mühe. Sie greift mit einer Hand möglichst theatralisch an die Bettkante, während ihre Gedanken an jenem Gerichtsfall hängen bleiben, bei welchem ein Mann angeklagt ist, sein wenige Wochen altes Kind zunächst gequält und sexuell missbraucht zu haben, bevor er schließlich den Kopf des Kindes dreimal auf eine Tischkante schlug und es dadurch tötete. Als sie bemerkt, wie ihre Augenwinkel sich allmählich mit Tränen füllen, bemüht sie sich nicht, sie zu verhehlen. Tatsächlich bemerkt er ihr Weinen und versteht es wie erwartet falsch und ist ganz zufrieden mit sich.
Als er in sie eindringt, ist sie noch immer damit beschäftigt, alles aus ihrem Kopf zu schaufeln; das Gerümpel auf dem Dachboden, den toten Vater, die ertrunkenen Flüchtlinge im Mittelmeer, die grauen Fassaden in der Stadt. Irgendwann ist tatsächlich alles ausgeräumt, der Kopf ist leer, der Schädel ist taub, doch es nützt nichts, es ändert nichts an der Lethargie. Sie atmet den Vanilleduft ein und kämpft gegen die Übelkeit, sie versucht, ihre Bewegungen seinem Rhythmus anzugleichen. Schließlich bäumt sie sich wohldosiert auf, wimmert leise, zuckt ein wenig. Und irgendwie ist es ihr wichtig, dass er ihr glaubt. Er hat sich wirklich Mühe gegeben.

leider komme ich nicht immer dazu deine sachen zu lesen…irgendwie bin ich aber ein fan!
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Oh, das Irgendwie-Fan-Sein freut und ehrt mich sehr. Und jedes Lesen ebenfalls… Herzlichen Dank dir!
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Mir gefällt deine Schreibweise ebenso fest, wie mir der Realitätsgehalt dieses Textes missfällt.
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Manchmal fällt’s vielleicht schwerer, die Realität auszuklammern… Vielen lieben Dank dir…
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