Die Zeit heilt keine Wunden. Man sieht die Sonne nur noch, wenn man sich umdreht. Die Medikamente schlagen nicht mehr an. Bei einem selbst verschuldeten Autounfall tötet man einen Menschen. Die Haut blättert ab. Man lebt in einem Kriegsgebiet. Die Knochenmarkspende brachte keinen Erfolg. Man darf nicht sagen, was man denkt. Man leidet an einer Persönlichkeitsstörung. Man würde sich gerne das Leben nehmen, doch es gelingt nicht. Man hat Schuppenflechte. Man ist selbst von einfachsten Kreuzworträtseln intellektuell überfordert. Man hat keinen Ort, den man als Zuhause bezeichnen könnte. Das Essen ist eine Qual. Die Farben im Fotoalbum verblassen immer mehr. Man kann seine Sexualität nicht ausleben. Man hat Schulden im sechsstelligen Bereich. Das eigene Kind stirbt. Man leidet an einer degenerativen Nervenkrankheit. Man lebt in ständiger Angst, verhaftet zu werden. Man muss in den Krieg ziehen. Der beste Freund ist ein Hund. Man wird aufgrund seiner Hautfarbe verfolgt. Man hört Stimmen. Die Grundrechte sind eingeschränkt. Man wird am Arbeitsplatz drangsaliert und belästigt. Man verschüttet den Kaffee, weil man zu heftig zittert. Man wird vergewaltigt. Man darf nicht wählen oder abstimmen. Ein zwanghaftes Verhalten bestimmt den Alltag. Man ist einsam. Man leidet seit der Kindheit an schwerem Rheuma. Man hat Angst vor Menschen und bleibt konsequent in der eigenen Wohnung. Das Arbeitslosengeld wird gestrichen. Man wird von der eigenen Mutter als Fehler bezeichnet. Das Herz versagt. Man ist auf der Flucht. Man wird von einem Hund in die Geschlechtsteile gebissen. Die beste Freundin begeht Selbstmord. Man kann nicht von einem schädlichen Suchtverhalten ablassen. Der eigene Sohn ist ein Vergewaltiger. Die Dinge des Lebens hängen direkt von Bürokratie ab. Man erkrankt an Krebs. Man wird krankenhausreif geprügelt. Die Drogen nützen nichts mehr. Man erblindet. In der Kindheit kam der Vater nachts ins Zimmer. Jeder Tag ist ein Kampf. Der Klang der Sirene eine Ambulanz löst Tränen aus. Man muss seine Familie verlassen. Nur während einer Fressattacke fühlt man sich frei. Beim Sex spürt man nichts mehr. Die Zähne fallen aus. Der Arzt schüttelt den Kopf. Das eigene Haus brennt vollständig ab. Der einzige Rhythmus ist das Piepsen einer Maschine. Der Ehepartner packt einen Koffer. Man ist immer zu dick im Kopf. Es gibt keinen Tag ohne Schmerzen. Der Abschied hat längst begonnen. Die eigene Tochter wird vergewaltigt. Die Einschläge werden häufiger und kommen näher. Man lügt sich eine imaginäre Wahrheit zusammen. Man hat zu wenig Geld für Essen. Das Stechen in der Brust ist nicht so harmlos wie gedacht. Man tritt auf eine Mine. Man spürt, wie die Hand, die man hält, jegliche Kraft verliert. Man erkennt, wie bösartig das Wort bösartig ist. Der Hund stirbt. Die Tagebuchseiten bleiben leer. Die Zweitmeinung ändert nichts. Die Scherben bringen kein Glück im Unglück. Man liest das Wort Fremdplatzierung nicht nur in der Zeitung. Die Liebe ist tot. Man bringt den beißenden Geruch nicht aus der Nase. Der Platz daneben bleibt leer. Die Heimat existiert nur in der Erinnerung. Die Gesichtszüge entgleisen permanent. Man zerknüllt einen weiteren Abschiedsbrief. Da ist Gift im Blut. Man schwimmt und verliert immer mehr an Kraft. Man weiß, was die Leute flüstern. Der beste Freund wird zur schlechten Erfahrung. Von der Welt sieht man vornehmlich die zwei Meter vor den eigenen Füssen. Man fühlt sich zu alt, um nochmals neu anzufangen. Das einzige Paar Schuhe wird gestohlen. Man kann kaum atmen. Die Räume werden immer enger. Das Spielen ist kein Spiel mehr. Man muss eine tragende Säule sein, doch die Arme werden allmählich taub. Selbst Galgenhumor ist nicht mehr lustig. Der Körper ist ein Feind. Man vergisst immer mehr Namen. Man schlägt den Kopf gegen den Spiegel im Bad. Man ist der kleinere Teil eines entzweigerissenen Fotos. Man kann nur weinen, wenn es niemand sieht. Die Schnitte werden zu Narben. Man gibt auf. Das Dach hält dem Sturm nicht stand. Gegen die Kälte unter der Haut kann selbst die stärkste Heizung nichts ausrichten. Man zählt hundert Dinge auf, die schlimmer sind als das eigene Leben, man senkt den Blick und beißt sich auf die Unterlippe, atmet ein, verharrt kurz, und atmet wieder aus.

Hammerharter Wortewasserfall
—aber so kann es im Leben eben auch zugehen,
gottlob passiert all das nicht alles im eigenen…
…liebe Morgengrüße vom Finbar
PS: https://finbarsgift.wordpress.com/2013/11/16/die-zeit-heilt-keine-wunden/
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Danke dir, lieber Finbar! Und ja, es ist ein Glück, dass sich das allermeiste Unglück ausserhalb des eigenen Lebens ereignet…
Herzliche Grüsse zurück…
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Es gibt natürlich die sprichwörtlichen Pechvögel, die sehr vieles von dem durchmachen (müssen), was du hier alles aufzählst…
aber das sind im Vergleich sehr wenige.
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und dann hat man sich augekotzt, alle schlimmen Dinge beim Namen genannt.
Nun ist´s gut, nun reicht´s aber, jetzt kann´s wieder weitergehen… endlich… das Aufatmen
und liebe Grüße von Bruni
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Danke dir, liebe Bruni, fürs Lesen und Aufatmen… Und herzliche Grüsse zurück…
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Shit…allein das Lesen spielt mit meinen Gefühlen Berg-und-Tal-Bahn… „Die Einschläge […] kommen näher.“ geht mir desöfteren durch den Kopf.
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Ich hoffe, die Berg- und Tal-Fahrt hinterlässt kein allzu flaues Gefühl im Magen… Danke dir fürs Mitfahren und Lesen!
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Und schon wieder so ein absolut ergreifender Text. Danke dafür!
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Ich danke dir! Fürs Lesen und Ergreifenlassen und für deine Worte…
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