Man dachte, man mag ihn. Man denkt, man habe ihn gemocht. Man dachte und denkt häufig darüber nach, ob man eine Person mag, und vielleicht noch häufiger darüber, ob man von einer Person gemocht wird. Bei ihm war man relativ sicher, dass man ihn mag. Dass man von ihm gemocht wird. Dass da eine gewisse Vertrautheit war, Vertrauen, Nähe. Und dann das.
Man war in der Schule und hatte diese Gruppenarbeit zu absolvieren. Man weiß gar nicht mehr, worum es ging oder in welchem Unterrichtsfach die Aufgabe gestellt worden war, doch das Bestreben lag wohl darin, gemeinsam zu einer Lösung zu gelangen oder zusammen etwas umzusetzen, die Gruppendynamik zu nutzen, wie eben üblich in solchen Gruppenarbeiten. Er war dabei in dieser Gruppe, und man wusste eigentlich, dass man sich auf ihn verlassen konnte, man konnte ihm vertrauen, und diese Gewissheit, sie vermittelte ein gutes Gefühl.
Wahrscheinlich war man aufgestanden, um etwas zu holen, aus einem Schrank oder einem Regal vielleicht. Bald darauf kehrte man zurück an den Tisch, an dem man gesessen hatte, und wollte sich wieder hinsetzen. Dieser Moment, in jener Bereitschaft, sich hinzusetzen, dieser Moment war der letzte unbeschwerte Augenblick mit ihm. Der letzte Augenblick der Bedingungslosigkeit, der Verlässlichkeit. Der letzte Augenblick der Klarheit, des Einklangs. Damals, in jenem Augenblick, wusste man noch nicht, was bereits im nächsten Augenblick enden würde.
Er entschuldigte sich zwar, mitten im allgemeinen Gelächter, er verlieh seinem Gesicht einen treuherzigen Ausdruck, gerade so, als hätte er gar keine andere Wahl gehabt, als wäre es unabdingbar gewesen, diese Gelegenheit zu ergreifen. Doch sein Bitten um Verzeihung änderte nichts, sein betont freundliches Lächeln war näher an Hohn als an Zuneigung. Man saß noch einige Sekunden auf dem Boden, seltsam erschüttert und aufgewühlt. Ungläubig starrte man auf den Stuhl, der an der falschen Stelle stand, sah seine Hand an der Rückenlehne. Er schob den Stuhl näher, doch man mochte nicht reagieren. Das Gelächter ebbte ab, eine humorlose Stille erfasste den Raum, niemand sprach. Irgendwann stand man auf, rückte den Stuhl wieder zurecht und setzte sich hin.
Womöglich brachte man die Gruppenarbeit danach reibungslos zu Ende. Womöglich blieb man ihm sogar vordergründig zugetan, nicht freundschaftlich, aber zumindest schulkameradschaftlich. Trotzdem war der weggezogene Stuhl ein stummer kleiner Tod, ein unerwartetes und krachendes Ende.
Man war doch sicher, dass man sicher sein konnte. Und dann das.

Oh klasse, ist dieser Gedankendialog!👏👌
LikeLike
Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte!
LikeGefällt 1 Person