Die Experten im Fernsehen waren bemüht, immer wieder zu betonen, dass sich kein Szenario ausschließen ließe. Mit großer Wahrscheinlichkeit würden bei den meisten Systemen keine Probleme auftreten. Es könne aber durchaus sein, dass man in manchen Fällen mit Störungen konfrontiert werden würde. Die pessimistischen Stimmen beschrieben derweil den totalen Kollaps. Stromnetze, Verwaltungen, Atomanlagen, Sicherheitssysteme, Kommunikationsmittel – alles könnte zusammenbrechen und die Welt in ein Chaos stürzen. Wer damit argumentierte, dass es ja nur ein ganz normaler Datumswechsel sei, wie jedes Jahr, erhielt als Erwiderung, dass es eben nicht ein Jahreswechsel wie jeder andere sei und Probleme durchaus möglich wären. Und eben jene Möglichkeit, die unentwegt waberte, tauchte die letzten Monate des Jahres 1999 in eine merkwürdige Stimmung, eine gewisse Unsicherheit schien allgegenwärtig, obwohl niemand tatsächlich mit dem Schlimmsten rechnen mochte.
Ihm war es zu jener Zeit ziemlich egal, was mit ihm und dem Rest der Welt geschah. Hätte man ihn damals gefragt, was seiner Ansicht nach beim Jahrtausendwechsel geschehen werde, hätte er vielleicht erwidert, dass es ihm nichts ausmachen würde, wenn die ganze verdammte Welt untergehen würde. Es wäre ihm entgegengekommen, allzu viel länger wollte er ohnehin nicht mehr existieren. Der Zusammenbruch der Systeme, den manche für den Jahrtausendwechsel prognostizierten, er war bei ihm, in ihm, schon längst eingetreten.
Am Silvesterabend des Jahres 1999 ließ er sich nach anfänglicher Gegenwehr doch noch überreden, in die Stadt zu gehen, hinein in die Straßen und Gassen, hinein in die feiernden Massen, die ihm zutiefst zuwider waren. Er trank und er fror, wankte und zitterte, er trank noch mehr und fror noch mehr. Die unzähligen Menschen in der Stadt wirkten immer erdrückender, er wurde kleiner und kleiner. Irgendwann verlor er seine Begleiter aus den Augen. Zunächst begann ein unangenehmes Herzklopfen, aber schon bald war ihm das Alleinsein unter Fremden durchaus zuträglich. Schließlich ging er nach Hause, in den staubigen Sarg, den er Wohnung nannte. Er trank weiter, doch immerhin fror er nicht mehr. Kurz vor Mitternacht schlief er auf seiner alten Couch ein, eine erloschene Zigarette zwischen den Fingern.
Am ersten Tag des neuen Jahrtausends erwachte er. Die Digitaluhr seiner Musikanlage zeigte die richtige Zeit, sein Computer funktionierte problemlos, alles schien unverändert, nur sein Kopf schmerzte. Und er war seltsam enttäuscht, dass eigentlich fast nichts passiert war.

wieder mal ein irre guter und tiefbewegender Text über einen, der sich im Abwärts fühlt,
doch den Jahreswechsel hat er irgendwie doch überlebt… irgenwie…
Lieber Disputnik, wundere Dich nicht, wenn ich selten da bin.
Ich bin ernstlich erkrankt und jetzt endlich erst weiß ich, wie ich mich verhalten soll u. welche Tabletten mir wie und wann helfen
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Oh, das klingt überhaupt nicht gut…! Schau dir gut, bitte. Ich wünsche dir von Herzen beste Besserung und alles Liebe und Gute, liebe Bruni…
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