Sie liegt auf ihrem Rücken und auf ihm, er liegt unter ihr und auf dem Bett. Ihre Augen sind geschlossen, es wäre sowieso zu dunkel, um etwas zu erkennen, und dennoch blicken sie in die gleiche Richtung. Seine Hände gleiten über ihren Körper, energisch und forsch, eine ungewohnte Vehemenz, die von Lust und Verlangen erzählt und keines gesprochenen Satzes bedarf. Er schiebt seine Finger über ihre Brüste und ihren Bauch hin zum Schoss, und beinahe scheint es, als wären sie eine Einheit, die sich selbst berührt.
Später, nach dem Ermatten, wird vielleicht Antoine de Saint-Exupéry auftauchen, sich neben das Bett stellen und jene Worte sprechen, die viel zu oft in viel zu vielen Hochzeitsalben stehen. Die Erfahrung lehrt uns, dass Liebe nicht darin besteht, dass man einander ansieht, sondern dass man gemeinsam in die gleiche Richtung blickt. Und man wird dann vielleicht in die Dunkelheit schauen und lächeln und sich fragen, welche Ausprägung von Liebe Antoine de Saint-Exupéry im Sinn hatte, als er diese Worte ersann. Doch eben, das wird später geschehen, vielleicht.
Im Moment sind sie im Moment, im Hier und Jetzt, es gibt kein Früher oder Später, nur den Augenblick und die gleiche Richtung. Sie schiebt ihre Hüften gegen seine, er schiebt dagegen, obschon sie sich nicht mehr näher kommen können, als sie es bereits sind. Ihr Atmen ist nicht synchron, doch es spielt keine Rolle, solange es die gleiche Luft ist, die sie atmen. Die Zuckungen werden schneller und heftiger, unterbrochen von sporadischem Innehalten, als wolle man die Zeit arretieren. Und dann, nach dem letzten Aufbäumen, löst sich alles auf.
Zuvor, als noch heller Tag war, verlor man sich beinahe in Diskussionen, da schwirrten Argumente durch den Raum und prallten gegen unsichtbare Mauern, man war sich einig und konnte sich dennoch nicht einigen; unwichtige Kleinigkeiten erwiesen sich als überraschend dehnbar, ließen sich zu ungeahnter Größe aufblasen. Mit ein wenig Abstand hätte man die Banalität dahinter womöglich erkennen können, doch in solchen Situationen kann es oftmals keinen Abstand geben. Und vielleicht war da Antoine de Saint-Exupéry, stand einfach da, an den Türrahmen gelehnt, und sagte, was er bereits als Fuchs dem kleinen Prinzen erzählt hatte. Die Sprache ist die Quelle aller Missverständnisse. Und in jenem Augenblick konnte man damit vielleicht nicht viel anfangen. Doch später, nach dem Ermatten, wird man womöglich verstehen, dass man einander mitunter am besten versteht, wenn man gar nichts sagt.
Sie liegt auf ihrem Rücken und neben ihm, er liegt neben ihr und auf dem Bett. Ihre Augen sind geschlossen, es wäre sowieso zu dunkel, um etwas zu erkennen, und dennoch blicken sie in die gleiche Richtung.

Immer wieder schön, schriftliche Korollare zu Sätzen von einem meiner Lieblingsautoren zu lesen…
dies hier ist ein besonders feines, zartes, liebes solches Zitat-Krönchen, lieber Disputnik…
…herzliche Morgengrüße
vom Finbar
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Herzlichen Dank dir, lieber Finbar; das freut mich sehr, dass der Text und der Fingerzeig zum Herrn Saint-Exupéry dir gefallen…
Liebe Grüsse und schönes Wochenende dann…
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Eine sehr schöne kurze Erzählung. Ganz sanft. Ganz wahr. Worte führen so oft in Missverständnisse, erlebe ich auch, ganz real, kenne ich. Oft ist es besser, zu fühlen, zu atmen, still zu sein, zu spüren und: man versteht. 😉 Lieben Dank.
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Vielen lieben Dank dir; fürs Lesen, fürs Verstehen, für deine Worte; sie freuen mich sehr.
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😉
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