Sie welken und verdorren, deine Blumen, deine beschissenen Blumen, du hast sie an der Tankstelle gekauft, aus Verlegenheit wohl und zusammen mit einer Packung Zigaretten, und die Verkäuferin an der Kasse, sie blickte dir womöglich in die Augen und dann auf die Blumen, die du auf die Theke gelegt hattest, und dann wieder in deine Augen, und wahrscheinlich dachte sie, oha, da will jemand sein schlechtes Gewissen beruhigen, oder er will sich entschuldigen, oder er will retten, was noch zu retten ist, und egal, was sie wirklich dachte, sie lag falsch, es gab keine Entschuldigung, es gab keine Rettung, es gab auch keine Beruhigung, es gab nur Blumen, billige Blumen von der Tankstelle, und du hast vielleicht gehofft, dass Blumen mehr sagen als tausend Worte, und wie so oft hat sich diese Hoffnung nicht erfüllt, die Blumen sagen nichts, sie sprechen nicht, das müssen sie auch nicht, sie sind nicht dein Sprachrohr, du hast selbst einen Mund und Lippen und Stimmbänder und all die Dinge, die es braucht, um Worte zu formen, doch du hast das Reden lieber den Blumen überlassen und lediglich mit den Schultern gezuckt, immer wieder mit den Schultern gezuckt, und womöglich war es nur ein nervöser Tick oder ein Ausdruck deines Unvermögens, in jenem Moment einen sinnvollen Satz zu sagen, doch irgendwie schien dein Schulterzucken eine grundsätzliche Manifestation deiner Sprachlosigkeit zu sein, deine Auslegung der Artikulation von Emotionen, dein Schulterzucken und deine beschissenen Blumen, sie waren ein Sinnbild dessen, was immer gefehlt hat, und es hätte keine tausend Worte gebraucht, eine Handvoll hätte unter Umständen bereits genügt, wären einen Anfang gewesen, doch nun gibt es nur noch ein Ende, und es ist egal, warum du die Blumen mitgebracht hast, es ist egal, was du damit ausdrücken wolltest, es blieb beim Versuch, bei einem weiteren gescheiterten Versuch, und nun welken und verdorren sie, die Blumen, und in diesem Welken und Verdorren sagen die Blumen dann vielleicht doch mehr als tausend Worte und ganz sicher mehr, als du je hättest sagen können, darum vielen Dank für die Blumen, vielen Dank für die Ehrlichkeit, die in ihnen wohnt und die sich immer mehr zeigt, und damals, als sie in irgendeiner Blumenfabrik in der Erde steckten, haben sie gelogen, sie haben an der Tankstelle gelogen und sie haben gelogen, als du sie auf den Tisch gelegt und mit deinen Schultern gezuckt hast, doch jetzt, in ihrem Welken und Verdorren, stirbt ihre Lüge allmählich, und ob sie nun mehr als tausend Worte sagen oder weniger, spielt keine Rolle, und dass sie nicht das sagen, was du ausdrücken wolltest, spielt ebenfalls keine Rolle, denn auf jeden Fall sagen sie mit der Zeit die Wahrheit, deine billigen Blumen von der Tankstelle.

ein selten beeindruckender innerer Monolog…
liebe Grüße
Finbar
LikeLike
Vielen herzlichen Dank, lieber Finbar, und beste Grüsse zurück…
LikeLike
„…denn auf jeden Fall sagen sie mit der Zeit die Wahrheit…“ Starker Satz. Manchmal sagen wir mehr, als wir je zugeben wollten. Und selbst wer nichts sagt, kann nicht nicht kommunizieren, nicht wahr? Ob mit einem Schulterzucken oder einem Blumenstrauß oder einem Schweigen, es kommt doch was an, wenn auch nicht immer das, was man gemeint hat.
Ein schöner, trauriger Text.
LikeLike
Vielen lieben Dank fürs Lesen und für deine Gedanken… Ja, auch ein Schulterzucken oder ein Blumenstrauß drücken etwas aus, selbst wenn es nur Sprachlosigkeit oder fehlende Worte sein sollten, und manchmal ist schon mit einem Schweigen alles gesagt. Doch um wirklich verstanden zu werden, sind Worte nicht selten durchaus hilfreich. Obwohl auch in ihnen die Gefahr mitschwingt, dass nicht ankommt, was man meint, oder dass sie, die Worte, als Ausdrucksmittel nicht genügen…
LikeLike
Mit Worten kann man eben leichter beeinflussen, wie man verstanden wird… Wie das Du in deiner Geschichte: Wenn es etwas gesagt hätte, mit seinen eigenen Worten statt mit einer abgeschauten Geste, hätte es vielleicht noch etwas retten können. So hat das Ich die Blumen eben ganz anders verstanden, und die Beziehung ist daran verwelkt.
Wenn man nie angefangen hat zu reden, hat man auch keine Gelegenheit, Missverständnisse aus der Welt zu schaffen.
LikeLike
Wie wahr und wunderbar beschrieben… Ja, die Geschichte wäre wohl anders verlaufen (und wäre nicht geschrieben worden), wenn da von Anfang an Worte und Offenheit ihren Platz gehabt hätten. Selbst tausend Blumen von der Tankstelle können diesen Platz wohl nicht ausfüllen…
LikeLike