Sie würde die Schrauben am Türschloss wieder festdrehen müssen. Es war ein altes Haus, und wenn jeweils eine Tür zu heftig zugeknallt wurde, lösten sich die Schrauben aus dem Gewinde.
Seine Worte hingen noch im Raum, wie der hartnäckige Geruch von faulenden Äpfeln. Ich gehe. Sie wusste nicht, wohin er zu gehen gedachte, was er dort tun wollte und wie lange er fernbleiben würde. Wahrscheinlich sollte der kurze Satz ausdrücken, dass er nicht zurückkehren werde. Doch er würde wiederkommen, das wusste sie. Er kam jedes Mal zurück. Trotzdem schnitten die Worte ins Fleisch.
Sie duschte lange. Danach stand sie nackt und tropfend im Badezimmer und dachte daran, dass er in diesem Moment heimkehren könnte. Der Gedanke war ihr unangenehm, da war eine ungewohnte Scham, und als sie in den Spiegel blickte, zuckte sie zusammen. Hastig zog sie sich an.
Der Groll pochte noch im Hals. Sie fluchte und zeterte, sagte ihm deutlich ihre Meinung, nannte ihn Arschloch, verwarf die Hände und schwang ihren Mittelfinger. Er bekam nichts davon mit, war noch immer nicht da, aber es tat dennoch gut, wirkte seltsam beruhigend. Ihre Schultern entspannten sich.
Nach seiner Rückkehr würde er ein Glas Wasser trinken und dabei aus dem Küchenfenster auf den Garten starren. Später würden sie auf der großen Couch sitzen, miteinander reden, mit den altbekannten Sätzen argumentieren. Wahrscheinlich würde sie sich entschuldigen und gleichzeitig erwarten, dass er es ebenfalls täte. Er entschuldigte sich weitaus seltener als sie, obschon es jeweils sehr angebracht wäre. Das machte sie wütend, aber meistens sagte sie nichts, schluckte lediglich leer.
Als sie die Schrauben am Türschloss wieder festdrehen wollte, stellte sie fest, dass sie sich gar nicht gelöst hatten. Sie drückte die Klinke hinunter, schwang die Tür einige Male hin und her. Es war ein altes Haus, aber schön und gut. Sie legte den Schraubenzieher zurück in die Werkzeugkiste. Dann ging sie in die Küche, füllte ein Glas mit Wasser, trank einen Schluck und blickte auf den Garten vor dem Fenster.

Ich möchte Tristian zustimmen. In kurzer Zeit baut sich ein „Bild“ auf, ohne viel Verschnörkelungen, ohne ausschweifenden Erklärungen. Es ist oft wie ein kleines Bühnenbild. Sehr schön und vielen Dank, Sylvia.
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VIelen Dank dir. Fürs Lesen, fürs Betreten der kleinen Bühnenbilder und für deine Worte…
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ein einfühlsamer Text, lieber Disputnik. Ich kann ihn so gut nachvollziehen, so, als ob ich es, wäre, die diese Gedanken hätte. Dabei passt doch nichts auf mich…
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Ich weiss nicht, was passt und was nicht, aber es ist schön, dass du dich einzufühlen vermagst… Vielen lieben Dank dir!
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Das Faszinierende an Deinen Texten ist diese sofortige Intensität und Präsenz. Als wäre man reingerissen in die Szenerie. Kein langes Heranlesen und Reinfinden.
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Das freut mich sehr, vielen Dank dir, fürs Lesen und Reinziehenlassen und natürlich für die schönen Worte!
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