«Was denkst du?» will sie wissen, und er zuckt zusammen, denn er hat mit der Frage gerechnet, weiß aber trotzdem nicht, was er darauf antworten soll. Zwar ist es nicht so, dass er nichts denkt, doch er schätzt es sehr, seine Gedanken innerhalb der sicheren Grenzen seines Kopfes zu wissen, und ist nicht sonderlich erpicht darauf, sie entweichen zu lassen. Also spricht er ein banales «Nichts» in den Raum und ahnt bereits, dass sie dieses Wort nicht allzu lange in der Luft schweben lassen dürfte. «Du kannst nicht nichts denken», erklärt sie mit der Stimme einer entnervten Grundschullehrerin, und er schrumpft zum kleinen Jungen, spürt wieder den Tornister mit dem künstlichen Kuhfell auf dem Rücken und schmeckt die Süße des Karamellbonbons in seinem Mund. «Doch, ich kann», protestiert er leise, obschon er sich der Ausweglosigkeit seiner Argumentation bewusst ist.
Sie insistiert, zuerst ganz sanft, dann stetig heftiger, bis er sich nicht mehr länger an seine Wortlosigkeit klammern mag und notgedrungen versucht, seine Gedanken in Worte zu fassen. «Nun, manchmal frage ich mich halt Dinge. Und eben, ich frage mich, nicht dich, auch niemanden sonst. Und ich will auch gar keine Antworten. Ich möchte manchmal einfach nachdenken.» Natürlich will sie wissen, was er sich denn fragt und worüber er nachdenkt und weshalb er dabei ein solch trauriges Gesicht aufsetze, und erneut wehrt er ab und meint, es sei nichts Wichtiges, doch sie ist offensichtlich anderer Meinung. Und nachdem sie ihm ein seitensprunghaftes Verhalten attestiert, seine Liebe zu ihr grundsätzlich in Frage gestellt und seine geistige Gesundheit zumindest angezweifelt hat, reißt der dünne Faden, an welchem seine Geduld hing. Er holt zum großen verbalen Rundumschlag aus. Und sagt, er gehe raus. Rauchen.
Draußen vor der Tür sucht er dann doch nach Antworten. Was er findet, ist aber nur der bleibende Eindruck ihres Gesichtes, ein wenig rot vor Zorn, ein wenig hässlich vor Abscheu und ein wenig fremd, vielleicht zu fremd. Er hat längst vergessen, worüber er vor der Auseinandersetzung nachgedacht hat, doch jetzt kreisen seine Gedanken um die Vermutung, fehl am Platz zu sein. Und irgendwie würde er ihr nun gerne sagen, was er gerade denkt, doch als er wieder hinein und zu ihr ins Wohnzimmer geht, steht sie nur stumm vor dem Fenster und starrt ins Leere. «Was denkst du?» will er wissen. Sie schüttelt den Kopf. «Nichts.»

Sehr schön beschrieben! Danke dafür.
Ich ersetze meisst „was denkst du?“ mit „was fühlst du?“ ..aber das Ergebniss ist auch meisst das selbe.
Solche Fragen erübrigen sich wenn man einfühlsam ist oder wäre.
Die Folgen sind Falschinterpretationen und körniges Dasein.
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Danke! Ob sich solche Fragen erübrigen, wenn man einfühlsam ist, oder ob sie überhaupt erst entstehen, wenn man versucht, es zu sein, weiss ich nicht nicht genau…
Vielen Dank für deine Gedanken und Worte und auch für den wunderbaren Ausdruck „körniges Dasein“…
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keine Situation, die mann/frau liebt… ,
fühlt frau/mann sich dann manchmal schon fast ertappt und verschließt sich sofort noch mehr…
Du hast diese Situation sehr gut herausgearbeitet und wer kennt sie nicht, in dieser oder jener Form.
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Ja, sie ist wohl allseits bekannt, die Situation, und nein, es ist wohl tatsächlich keine Situation, die man liebt oder schätzt…. Vielen lieben Dank für deine Worte, liebe Bruni…
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Sehr schön.
Ich halte die Frage „Was denkst Du“ eigentlich schon fast für übergriffig. Zumindest kommt seltenst etwas Gutes dabei heraus, wenn sie gestellt wird. Mein Kopf gehört mir.
„Alles ok mit Dir?“ dagegen, gibt den Freiraum frei zu antworten, oder es eben auch zu lassen und ganz nebenbei ergibt es meist eine positive Antwort. Was will man mehr? 😉
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Vielen Dank fürs Lesen und für deine Worte… Ja, die Frage „Was denkst du?“ führt nicht selten auf unwegsames Gelände, nicht zuletzt, weil sie oftmals dann gestellt wird, wenn nicht unbedingt mit ganz banalen Gedanken zu rechnen ist. Das „Alles okay mit dir?“ gibt mehr Freiraum, ja, aber häufig kommt dann die Antwort „Jaja“ und die Vermutung, dass diese Antwort nicht unbedingt der Wahrheit entspricht…
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Danke für die gestrige Vorwarnung; war doch keine schlechte Idee oder gar übertrieben. Hätte mich wohl doch etwas nachdenklich gestimmt. Tut es nun auch, aber gutnachdenklich, ohne den dem Nachdenken folgende Zweifel.
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…und ich frage jetzt auch gar nicht, was und woran du denkst…
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Und ich antworte trotzdem. Dass ein „Nichts“ beim mir wohl selten über die Lippen kommt. Vielleicht gar einmal zu wenig…Und ich keinen gestreiften Pullover habe.
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Bei mir vielleicht einmal zu oft. Dafür hab ich einen gestreiften Pullover, auch wenn der nicht so hübsch ist wie jener aufm Bild.
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Und so wäre alles wieder ausgeglichen und die Erde gerettet.
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Dieses Gefühl zu spüren, wirklich irgendwo fehl am Platze zu sein, insbesondere im Rahmen von wie auch immer gearteten Auseinandersetzungen in Beziehungen (hier auf eine auswändig ruhige Art, inwändig wohl vermutlich nicht, da wird es kochen, nehme ich an) ist ein ganz seltsam eigenes, auf dessen Wichtigkeit mann/frau nicht verzichten sollte als Baustein fürs/im Lehrbuch des Lebens…
wieder faszinierend fein ziseliert geschrieben, lieber Schreibkünstler!
LG Finbar
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Vielen Dank, lieber Finbar… Und ja, das Gefühl, fehl am Platz zu sein, es gehört wohl zum Leben, zu diesem Lehrbuch, das am Ende vielleicht weniger Lernstoff, sondern eher Chronik ist. Und womöglich braucht es dieses Gefühl, sogar dann, wenn es eigentlich nicht stimmt, als vorübergehendes Zeichen des Hinterfragens. Oder so. Oder anders.
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