Er klammert sich an sein Glas, der Rotwein klebt an den bauchigen Wänden, seine dicken Finger zittern ein wenig, ebenso der Kopf, eine graue Haarsträhne bebt unentwegt, bewegt von einem Wind, der hier in dieser Kneipe nicht weht.
«Manchmal erinnert man sich an seltsame Dinge», sagt er, die Worte langsam und mit Bedacht in eine Reihe stellend. «Nein, nicht seltsam», korrigiert er sich. «Schön. Schöne Dinge.»
Er starrt auf den Tisch, die alten Augen werden zu schmalen Schlitzen, das Lächeln in seinem Gesicht lässt längst vorgezeichnete Falten noch tiefer werden.
«Ich war Bademeister. Viele Jahre lang. Zwanzig. Hier im Ort, im Schwimmbad. War eine schöne Zeit. Einmal, da lag eine junge Frau auf einer Sonnenliege. Als ich an ihr vorüberging, sagte sie: ‹Erwin, magst du mir den Rücken eincremen?› Ich habe das dann gemacht. Sie war eine schöne Frau. Und so liebenswert. Als ich fertig war, fragte ich sie scherzhaft, ob ich die Oberschenkel gleich auch noch machen soll. Und sie antwortete bloß: ‹Ja, gerne.› So eine schöne Frau. Schließlich sagte ich zu ihr, dass ich, falls ich sie einmal aus dem Wasser retten müsste, sie noch weiter beatmen würde, auch wenn sie längst wieder bei Bewusstsein wäre. Ich lachte, und sie lachte auch. Und wissen Sie, was sie dann sagte? Sie sagte: ‹Worauf wartest du noch? Rette mich!› Ach, sie war eine schöne Frau.»
Er hält inne, schüttelt lächelnd den Kopf, ganz langsam, aber kaum mehr zitternd. Dann trinkt er hastig sein Glas leer.
Ich überlege, ob ich nachhaken und ihn fragen soll, was dann geschehen sei. Doch ich bleibe stumm, versuche ein Lächeln, das wohl nur ansatzweise gelingt. Es ist seine Erinnerung. Eines seiner seltsamen und schönen Dinge. Mehr gibt es nicht zu erzählen, es ist alles gesagt.
Er klammert sich an sein Glas, der Rotwein klebt an den bauchigen Wänden, seine dicken Finger zittern ein wenig. Irgendwo muss man sich wohl festhalten. Das muss man immer.

ach, wie schade, ich habe mich geirrt…
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*lächel leise*, er hat sie geheiratet, lieber Disputnik, aber inzwischen lebt sie nicht mehr und er blieb alleine zurück, meist bei einem Glas Rotwein (aber erst ab dem späten Nachmittag), der rettet ihn vor dem Dunkel, in dem er mit den Schatten sitzt…
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Liebe Bruni, tatsächlich lebt seine Frau nicht mehr, und er blieb alleine zurück, mit dem Rotwein. Die Bekanntschaft aus dem Schwimmbad jedoch, sie war nicht seine Frau, er war damals bereits verheiratet… Aber ich glaube, dass ihn nicht nur der Rotwein zumindest einige Momente lang aus dem Schatten rettet, sondern auch die Erinnerungen, an Schwimmbadbekanntschaften und auch an seine Frau…
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