Man soll den Tag nicht vor dem Abend, und überhaupt, zu viel des Lobes sei nicht gut, sagen die diplomierten Pädagogen, sehr viele Menschen hören sehr viel zu gern, wie gut sie seien, sie hören es selbst dann, wenn es niemand ausspricht, hören es so oft, dass sie darauf verzichten, sich zu fragen, ob das Lob gerechtfertigt ist, nehmen es einfach an und hin, kleine Streicheleinheiten für die Seele, und wenn niemand streichelt, dann streicheln sie eben selbst, das tut gut, denn sie wissen, an welchen Stellen sie sich berühren müssen, um größte Lust und warme Gefühle auszulösen, sie kennen die magischen Punkte, die beim Ertasten ihr Blut in Wallung bringen und wilde Wellen werfen lassen, und wie dieses Blut den Sauerstoff braucht ihr Ich das Lob, dieses kostbare Geschenk, das jeden Zweifel beseitigt und nur die Gewissheit zurücklässt, man sei tatsächlich so unwiderstehlich, wie man glaubt, ein Beweis für Qualität, für all die Eigenschaften, die offensichtlich als Maßstab taugen, und die lobenden Worte sind wie die Glühbirne, an die man als Kind die Spitze des Quecksilberthermometers gehalten hat, um das Fieber zu belegen, an welchem man zwar nicht gelitten hat, das aber vor dem unliebsamen Besuch der Schule bewahrte, eine Vorspiegelung falscher Tatsachen, also eine Lüge im Spiegel, und wenn man am Abend dann wirklich vor einen solchen tritt, hätte man den Tag vielleicht nicht vorschnell loben sollen, denn wenn man ganz genau in den Spiegel schaut, blickt man tief, weit hinter das Glas und hinein in Regionen, in die kein Lob mehr zu dringen vermag, man blickt hinein ins Ich, unter all die Schichten, und dort kann man sich nicht streicheln, dort ist man nackt, ganz ohne Haut, und das Blut ist nicht mehr in Wallung, es ist nur noch rote Flüssigkeit, wie bei allen anderen, nichts Besonderes, nichts Besseres, da ist nur Blut, mehr nicht.

ja, wie wäre es gut, dieses innere Ich streicheln zu können…
doch warum sollte man/frau es eigentlich nicht können???
Wenn man in diese Tiefe gelangen kann und davon gehe ich aus,
dann ist doch dieses Tor zum eigenen Ich geöffnet.
Streicheln, Lob, Erkennen der eigenen Güte, des Gütesiegels von uns selbst,
das wir uns so wünschen, da ist es doch.
Wir müssen nur etwas damit anfangen. Es nicht sinnlos herumliegen lassen…
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Vielen Dank fürs Lesen und für deine Gedanken, liebe Bruni, und ja, wir müssen mit dem Inneren nur etwas anfangen, und das Erkennen der eigenen Güte ist wichtig. Doch mir scheint ein echtes Erkennen und Annehmen (des Guten und des Unguten) irgendwie wertvoller als ein übertriebenes und eindimensionales Loben…
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„wohldosiertes“ Loben ist etwas, das Gutes bewirken kann, richtiges Erkennen fördert.
Doch wie ist denn wohldosiert? Nicht zu viel und nicht zu wenig? Die richtige Menge von allem?
Ich sehe nach reiflichem Nachdenken 🙂 eine Lösung im ehrlichen Lob…
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Eine gute Lösung, wie ich finde, liebe Bruni…
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… und wie berauschend wahr. Und obwohl man selbst glaubt, doch nicht zu eben jenen zu gehören, von denen dieser Satz schreibt, ertappt man sich abends beim In-den-Spiegel-sehen als genau dieser Mensch, der eben auch nicht anders kann, als sich zu belügen, um sich gut und besser als andere zu fühlen. Danke für Deine in die Seele blickenden Erkenntnisse.
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Sich mitunter selbst zu belügen ist wohl ziemlich menschlich, ebenso die Tatsache, dass Lob eben auch eine Nahrung sein kann, in einer angemessenen Dosis wohl auch eine gesunde. Zu viel des Guten ist aber eben zu viel, wohl auch beim Lob… Vielen lieben Dank fürs Lesen und für deine Worte…
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Was für ein berauschender Satz!
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Vielen Dank, lieber Finbar, fürs Lesen und Berauschenlassen…
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