Er fährt in den Krieg, nicht zum ersten Mal, sondern erneut, nach dem Urlaub fährt er wieder zurück in den Krieg, zurück an die Front, die Ostfront, er fährt mit dem Zug, mit dem Fronturlauberzug, zusammen mit vielen anderen Männern, er fährt mit dem Zug in den Krieg in einem Buch von Heinrich Böll, dem ersten Buch, das Heinrich Böll veröffentlicht hat, im Jahr 1949, und was soll danach überhaupt noch kommen, wenn gleich das erste Buch ein Buch über den Krieg ist, ein Buch gegen den Krieg, was soll nach dem Krieg noch kommen, man kann doch nach dem Krieg nicht über irgendwelche amüsanten Irrungen und Wirrungen in einem Wirtshaus oder die amourösen Abenteuer eines Jünglings schreiben, und heute weiß man, dass nach dem ersten Buch von Heinrich Böll weitere Bücher über den Krieg kamen, Bücher gegen den Krieg, Bücher über die Welt nach dem Krieg, aber auch Bücher über andere Sitten und Unsitten der Menschheit, aber im ersten Buch von Heinrich Böll fährt ein Mann in den Krieg, obwohl er eigentlich schon mittendrin ist im Krieg, er fährt mit dem Fronturlauberzug gegen Osten, und auch wenn er nur in Worten und Sätzen in den Krieg fährt, ist er dennoch tatsächlich da, in diesem Zug, der an die Ostfront unterwegs ist, er ist fiktiv und real zugleich, seine Geschichte ist erfunden und wahr zugleich, er heißt Andreas im Buch, doch er trägt alle Namen der Welt, Andreas ist alle Soldaten, und als einer dieser Soldaten fährt er zurück in den Krieg, einen Krieg, der heute längst vorüber ist und dennoch niemals aufhört, denn Andreas fährt noch immer in den Krieg, immer wieder, fährt von Westen nach Osten, von Osten nach Westen, von Norden nach Süden und zurück, immer wieder zurück, zurück an die Front, zurück in den Krieg, Andreas fährt in den Krieg und kommt niemals an, und während der Fahrt denkt er über Männer nach, denkt über Frauen nach, denkt an Gott und die Welt, denkt vor allem darüber nach, dass er bald sterben wird, er weiß, dass er den Krieg nicht überleben wird, er weiß es genau, es ist keine Befürchtung, keine Ahnung, sondern ein verbindliches Wissen um den bevorstehenden Tod, und der Tod, er fährt mit Andreas und den anderen Männern mit, nicht in Form einer schwarzen Gestalt mit Kutte und Sense, sondern als allgegenwärtige Masse, die in der Luft hängt und in alle Winkel kriecht, der Tod hockt im Zug und mit ihm auch Angst und Schuld und Sühne und Erniedrigung, all die Dinge, die der Krieg mit sich bringt, und Andreas spielt Karten und trinkt Schnaps und schaut aus dem Fenster, und manchmal hört er einigen anderen Männern beim Schweigen zu, und er kann es kaum ertragen, das Schweigen derer, die nichts sagen, findet es furchtbar, seine innere Stimme sagt, es sei das Schweigen derer, die nicht vergessen, derer, die wissen, dass sie verloren sind, und natürlich weiß Andreas, dass er selbst einer von denen ist, deren Schweigen so furchtbar ist, wie er weiß, dass er bald sterben wird, doch dann passiert etwas auf seinem Weg in den Krieg, die Liebe kommt zu ihm, die bedingungslose Liebe, dringt in sein Dasein wie ein Sonnenstrahl durch einen Riss in der Jalousie, macht kleine Teile im Dunkeln hell, und man möchte hoffen, dass die Liebe ihn retten könnte, ihn hinaus aus dem Elend und hinein in das Leben reißen könnte, doch Andreas fährt unvermindert in den Krieg, fährt immer weiter in den Krieg, und er weiß, dass die Liebe keine Rettung bringen wird, und man weiß es mit ihm, bis zuletzt, und nach der finalen Seite ist wohl das Buch zu Ende, aber nicht der Krieg, der Krieg geht immer weiter, und jeder Andreas fährt immer weiter in den Krieg, fährt immer wieder in den Krieg, fährt von Westen nach Osten, von Osten nach Westen, von Norden nach Süden und zurück, immer wieder zurück, zurück an die Front, zurück in den Krieg, Andreas fährt in den Krieg und kommt niemals an.

Woran liegt es, dass der Spruch „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“ niemals wahr wird? Sind die teilnehmenden Soldaten zum Teil so aufgehetzt, dass sie den Gegner im Krieg besiegen wollen, auch auf die Gefahr hin, ihr Leben dabei zu verlieren. Ist das die schreckliche Folge von Ideologie, Medienaufhetzung und ähnlichem?
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Ich glaube, wenn es einfache Antworten auf solch komplexe Fragen gäbe, könnte man vielleicht sogar etwas ändern (obschon wohl längst nicht alles)… Freud und Einstein haben auf die Frage «Warum Krieg?» jedenfalls auch keine einfachen Antworten gefunden… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte!
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