Das Mädchen hält die Blumen in der Hand und die Hand ins Wasser. Wo es auch geht und steht, wohin es sich auch verirrt und treiben lässt, es hält die Blumen ins Wasser; an kleinen Seen und unentwegt zerrenden Flüssen, an gurgelnden Bächen, an jedem Brunnen. Es hat die Blumen nicht gepflückt, hat die Stiele nicht geknickt und gebrochen, doch jetzt sind sie da, die Blumen, in der Hand des Mädchens, und das Mädchen bewässert die Blumen, so gut wie es nur geht.
Hin und wieder redet das Mädchen mit den Blumen, redet auf sie ein, und es ist überrascht, wie warm seine Stimme klingt. Normalerweise ist die Stimme dünn und hoch, nahezu schrill, und wenn sie tatsächlich eine Farbe hätte, wäre die Stimme wohl hellblau und rosarot und gelb, wäre grell und leuchtend. Wenn das Mädchen aber mit den Blumen spricht, ist die Stimme dunkelbraun, und es denkt an den alten Schreibtisch, früher in seinem alten Kinderzimmer. Er hatte genau die gleiche Farbe wie die warme Stimme des Mädchens.
Im Krankenhaus stehen Flaschen mit Mineralwasser. Es hat Flaschen mit einem weißen Etikett, das ist Mineralwasser ohne Kohlensäure, und es hat Flaschen mit einem dunkelblauen Etikett, das ist Mineralwasser mit Kohlensäure. Die meisten Flaschen mit dem weißen Etikett sind leer oder fast leer, eine ist immerhin nur halbleer. Die Flaschen mit dem dunkelblauen Etikett sind derweil noch voll, allesamt ungeöffnet. Es scheint, als würde man hier, im Krankenhaus, in den Randzonen des Lebens, nur Mineralwasser ohne Kohlensäure trinken. Vielleicht will man das Aufstoßen, das Rülpsen vermeiden. Vielleicht hat man genügend andere Aktionen und Reaktionen des Körpers, erwünschte und unerwünschte und ausbleibende.
Jede Blume muss sterben, sagt man dem Mädchen, und das Mädchen nickt. Natürlich weiß es das. Es kennt die Gesetze des Lebens nur zu gut. Doch Wissen ist nicht immer ein Trost.
Das Mädchen dreht den Deckel von einer der Flaschen mit dem weißen Etikett, füllt ein Glas mit Wasser und stellt die Blumen in das Glas. Einige Stiele neigen sich bereits müde hinab, mehrere Blumen lassen ihre Köpfe hängen, einzelne Blüten lösen sich und fallen auf die Oberfläche des Tisches. Das Mädchen redet auf die Blumen ein, doch die Blumen mögen nicht mehr trinken. An den Kanten verschwimmen die Blüten und Stiele, doch das liegt nicht am Wasser.
Irgendwann senkt das Mädchen seinen Blick und starrt hinab. Eines der Blütenblätter ist zu Boden gefallen und liegt neben seinen Schuhen. Das Mädchen hebt das Blütenblatt hoch und dreht zwischen den Fingern. Dann legt es das Blütenblatt in seinen Kopf, tief hinein.
Später steht das Mädchen an einem stillen Brunnen und hält die Hand ins Wasser. Es ist kalt, das Wasser. Das Mädchen bewegt seine Finger, und kleine Luftblasen bilden sich, wie bei Mineralwasser mit Kohlensäure. Es zieht die Hand wieder aus dem Wasser, und die Blasen verschwinden, die Luft ist raus. Tief in seinem Kopf spürt das Mädchen ein Kitzeln. Es tut weh, aber es ist schön, und das Mädchen, es versucht zu lächeln.
