Er ist explodiert. Seit ihrer Hochzeit vor acht Jahren hat er Bier getrunken und gesalzene Erdnüsse gegessen. Nun ist er explodiert. Irgendwie. Jemand hat ihm eine Dynamitstange in den Arsch geschoben und die Lunte angezündet. Der Knall war überraschend leise. Jetzt hört sie sein Ächzen. Er sitzt noch immer im Wohnzimmer und sieht fern, zieht regelmäßig den Rotz zurück in die Tiefe hinter der Nase. Ihre Augen sind geschlossen, doch sie kann ihn sehen, auf dem Sofa. Hinter ihm an der Wand hängt ein billiges Poster, das Abbild eines Gemäldes, auf dem Hunde Poker spielen. Sie findet es grässlich. Er nennt es Kunst. Sie schlägt die Augen auf, schließt sie wieder, schiebt ihn weg.
Sie liegt auf dem breiten Bett im dunklen Schlafzimmer. Die Tür ist nur ein paar Zentimeter weit geöffnet, das Licht der Wohnzimmerlampe und das Flackern des Fernsehers zeichnen einen schmalen hellen Streifen an den Rand der Finsternis. Früher hatte sie wohl tatsächlich die Hoffnung, dass es dort, wo er ist, heller wird. Sie macht die Augen zu, und er wird von einem gesichtslosen Samurai enthauptet. Blutspritzer treffen die Hunde beim Pokerspiel. Dann knarrt die Diele. Er geht an der Tür vorüber, vielleicht zur Toilette, vielleicht zum Kühlschrank. Seine Richtung ist egal. So vieles ist egal. Und es hat längst aufgehört, erschreckend zu sein.
Er fällt und fällt, sein massiger Leib prallt stumm auf den Asphalt, wird von einem Lkw und dann von einer Straßenwalze überfahren. Was bleibt, ist nur noch ein Fleck. Wenn sie sich berührt, denkt sie manchmal tatsächlich noch an ihn, zumindest an den Mann, der er einst war und schon lange nicht mehr ist. Meistens aber sind es Fremde, die zu ihr gelangen, sobald sie die Augen schließt. Kräftige Hände schieben sich über ihre Haut, erkunden ihren Körper mit Bestimmtheit und drängendem Verlangen. Sie weiß gar nicht, woher es rührt, dieses Energische, dieses Wilde, Ungezähmte. Aber sie ist froh, dass sie es spürt. Dass sie da sind, die Hände.
Auf dem Hochzeitsfoto, das in einem wackligen Rahmen auf der Kommode steht, sieht er jeden Tag dämlicher und jämmerlicher aus. Ein armseliger Trottel, unmittelbar neben ihr und dennoch immer ferner. Sie hört sein Husten, sein Räuspern. Dann röchelt er, jemand würgt ihn, schnürt ihm die Luft ab, lässt ihn ersticken. Sein Gesicht wird rot, beinahe violett. Schließlich ermattet jeder Muskel, alles wird ruhig. Sie lässt ihre Finger über ihre Haut stolpern, wie müde Athleten, wie die ersten behutsamen Gestalten nach dem Sturm. Ihre Fingernägel zeichnen unsichtbare Linien auf den Körper. Im Wohnzimmer seufzt das Sofa, die Hunde spielen Poker.
Nach dem Aufbäumen bleibt sie liegen, matt und müde, dem eigenen Atem lauschend, der sich allmählich wieder verlangsamt. Wie so oft ist da dieses Wanken, dieses Schwanken, zwischen dem Lächeln und den Tränen ist ein luftleerer Raum, und sie taumelt. Schlafzimmer und Wohnzimmer sind Lichtjahre voneinander entfernt. Sie hört ihn wieder. Er zieht den Rotz zurück in die Tiefe hinter der Nase, er ächzt und hustet, er isst gesalzene Erdnüsse. Irgendwann steht sie auf, schiebt ihm eine Dynamitstange in den Arsch und zündet die Lunte an. Irgendwann steht sie auf. Ganz sicher.

…knallharte Beziehungsalltagsschilderung…
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Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte, lieber Schreibfreund…
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Es gibt wohl selten Schlimmeres als diese Käfig-Einsamkeit zu zweit, und Flucht daraus nur in Vorstellungen von einer Vergangenheit, die wahrscheinlich so nie gewesen ist oder in solche Gewalt- und Todesphantasien, wie Sie sie so eindrücklich beschreiben. Alles nur Rütteln an den Gitterstäben mit allerdings immer schwächer werdenden Händen!
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Jaha, man darf und soll froh sein, wenn man diesem Käfig erfolgreich fernbleiben kann und sich in den richtigen und warmen Räumen weiss… Vielen Dank für Ihre Worte!
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Frustgedanken, in die Dir eigene Sprache verpackt, lieber Disputnik, in eine Geschichte, die vermutlich viele Frauen in ähnlicher Weise erzählen könnten, würden sie überhaupt etwas sagen… Sie behalten es für sich, verschließen es in ihrem Innern und verkümmern immer mehr
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Vielleicht würde es weniger Explosionen oder andere Zerstörungen geben, wenn weniger geschwiegen und dafür mehr darüber geredet und zugehört würde… Vielen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte, liebe Bruni…
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Dieser Schmerz und diese Sehnsucht … Ich kann es fühlen. Vielen Dank.
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Vielen Dank fürs Lesen und Fühlen und für die Worte…
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Bis das der Tod uns scheidet
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Früher oder später…
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Jawohl!
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Schön! Danke…
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