Zwei Kollisionen.

Du verdammtes Arschloch, ruft man in die kühle Morgenluft, doch niemand hört die Worte, erst recht nicht der Fahrer des mittelgroßen Lieferwagens, der soeben beim Wegfahren von der Tankstelle eine mittelgroße Delle im Blech des mittelgroßen Autos hinterlassen hat, das nun verletzt an der Tankstelle steht, und womöglich hat der Fahrer des Lieferwagens sein Missgeschick … Weiterlesen Zwei Kollisionen.

Begegnung an einem Sonntag.

Der Pfarrer steht neben dem Altar und sieht aus wie ein Rockstar, die Haare sind wild und jugendlich frech frisiert, das Gewand beeindruckt durch eleganten Schnitt und zeitlose Farben, und sein Gebaren, es ist von ungeahntem Ausdruck, eine tiefe Leidenschaft wird deutlich, sein Vortrag wäre überzeugend, vielleicht sogar berauschend, wenn er jemanden interessieren würde, doch … Weiterlesen Begegnung an einem Sonntag.

Scherbenreflexion.

Es begab sich zu einer Zeit, als sogar die Kleenex-Schachtel neben seinem Bett Staub ansetzte. Vor den Fenstern wurde es längst nicht mehr richtig hell, die Zeitformen in seinem Dasein zankten sich darüber, welche von ihnen die größte Gleichgültigkeit aufwies. Wenn das Telefon klingelte, hielt er sich die Ohren zu, und irgendwo zwischen existenzialistischen Malereien … Weiterlesen Scherbenreflexion.

Susanna im Bad.

Es waren nur einige Sekunden, vielleicht eine Minute, zumindest in realer Zeit, in banaler Zeit. Doch das, was sich in diesen Sekunden ereignete, war nicht banal. Das war etwas anderes. Sie war die Stieftochter seiner Tante und damals wohl mindestens doppelt so alt wie er. Wann sie in das Haus seiner Eltern gekommen und wie … Weiterlesen Susanna im Bad.

Das Interview.

Es war ein heller Abend nach einem langen Arbeitstag, und er wollte eigentlich nur noch nach Hause. Stattdessen stand er in einer Bar, in welcher er noch nie gewesen war und deren Namen er zuvor nicht gekannt hatte. Der kleine Raum wirkte schummrig und matt, Lichterschlangen zierten Balken und Decke. Der Geruch von Rauch und … Weiterlesen Das Interview.

Außer bei Regen.

Er stand jeden Tag vor dem Haus an der Straße, außer bei starkem Regen, dann war er wohl drin, saß an einem alten Eichentisch oder auf einem hellbraunen Sofa, jedenfalls sah man ihn nicht, sah nur Licht im Fenster, also war er da. Niemand schien wirklich etwas über ihn zu wissen, aber man kannte ihn, … Weiterlesen Außer bei Regen.

In ihren Augen.

Da war dieser Mann, der hatte eigentlich alles, und alles, was er hatte, fand er ganz fürchterlich. Das Geld, die klimatisierten Räume, die sogenannten Freunde, mit denen er teure Weine trank, den großen Tisch in seinem großen Büro, die goldene Uhr an seinem Handgelenk; dieser Dinge und ihrer vermeintlichen Kultur war er allmählich überdrüssig geworden. … Weiterlesen In ihren Augen.

Der Alpendoktor.

Frau K. spuckte. Nicht nur hin und wieder, nicht nur ein wenig. Sondern riesige Mengen. Bei jedem Wort. Das war mehr als nur eine feuchte Aussprache. Es grenzte an ein Wunder, dass sie beim Reden neben all dem Speichel auch noch Wörter zwischen ihren schmalen Lippen hindurch ins Klassenzimmer zu befördern vermochte. Wer sich als … Weiterlesen Der Alpendoktor.

Vier Hunde.

Sie sitzen nebeneinander, wie ein altes Paar, das sich im Fließen der Zeit die Liebe bewahrt hat, und vielleicht sind sie das, sind sich in Vertrauen verbunden. Es ist, wie es immer war, sie redet und er hört zu, er legt hin und wieder den Kopf schräg, doch er sagt nichts. Kein Werten, kein Bewerten, … Weiterlesen Vier Hunde.

Eine unerfreuliche Situation.

Auf einer Holzbank an einer Bushaltestelle sitzt ein junger Mann, vielleicht fünfundzwanzig, vielleicht auch dreißig Jahre alt, mit akkuratem Haarschnitt und glänzenden Lederschuhen. Man muss ihn nicht kennen, um zu ahnen, dass er entweder bei einer Bank, einer Versicherung, einem Wirtschafts- oder Beratungsunternehmen arbeitet. Sein Anzug ist zwar noch ein wenig zu groß, doch er … Weiterlesen Eine unerfreuliche Situation.

Niemand sagt Gesundheit.

Die kahlen Gassen, die ausgetrockneten Venen der Stadt, weit hinter dem Herz. Manche wohnen hier, niemand lebt hier. Ab und an stolpern Betrunkene über die stumpfen Kanten, die Einsamen schieben ihre Hände tiefer in die Manteltaschen, gefallene Engel trinken die salzigen Tropfen von den Lippen, und manchmal muss jemand niesen, doch niemand sagt Gesundheit. Dampf … Weiterlesen Niemand sagt Gesundheit.

Im Duftbäumchenwald.

Wahrscheinlich war er kein wirklicher Freund, nur ein temporärer Gefährte. Er war etwa zwei Meter groß, dünn und schlaksig, mit langen Armen und langen Fingern und langen Beinen, an deren Ende riesige Füße nach vorne ragten, während in seinem schmalen Gesicht eine mächtige Nase alles andere in den Schatten stellte. Wenn er durch die Gänge … Weiterlesen Im Duftbäumchenwald.

Stavros.

Letzthin sah ich Stavros. Er trug Arbeitskleidung und stieg gerade aus einem Auto und ging zu einem Kiosk und sah noch immer genau gleich aus wie früher. Nun sehen nahezu alle Menschen gleich aus wie früher, wenn dieses Früher fünfzehn Minuten zurückliegt, doch in diesem Fall reichte das Früher rund fünfzehn Jahre in die Vergangenheit. … Weiterlesen Stavros.

Fünf Minuten vor Ladenschluss.

Die adrett gekleideten Staatsmänner, sie schütteln sich die frisch gewaschenen Hände und gratulieren sich gegenseitig zum Erreichen einer Übereinkunft, die den schönen Schein wahrt. Der erschöpfte Langstreckenläufer weint Tränen des Glücks, während ein konserviertes Sinfonieorchester seine Rührung mit einer pathetischen Hymne untermalt, um seinen Sieg zu zelebrieren. Ein Gameshow-Kandidat ballt die Faust und reckt sie … Weiterlesen Fünf Minuten vor Ladenschluss.

Die Raststätte.

Eine verlassene Raststätte mit einigen Zimmern, ein merkwürdiges Konstrukt im Niemandsland, kahle Mauern, die Architektur aus einer anderen Zeit. Einst war dieses Gebilde wohl ein Zeichen für den Aufbruch in eine helle Zukunft, doch mit der Zeit schwindet das Licht, und nun ist es dem Abbruch geweiht und die Zukunft nur ein weiteres gebrochenes Versprechen. … Weiterlesen Die Raststätte.

Der Bademeister.

Er klammert sich an sein Glas, der Rotwein klebt an den bauchigen Wänden, seine dicken Finger zittern ein wenig, ebenso der Kopf, eine graue Haarsträhne bebt unentwegt, bewegt von einem Wind, der hier in dieser Kneipe nicht weht. «Manchmal erinnert man sich an seltsame Dinge», sagt er, die Worte langsam und mit Bedacht in eine … Weiterlesen Der Bademeister.

Die Totengräberin.

Wahrscheinlich begann es mit Gandhi. So hieß ihr Hamster, der erste und einzige. Als er sich eines Tages nicht mehr rührte, waren ihre Tränen so bitter wie nie zuvor. Ihre Mutter nahm sie in den Arm, strich sanft über ihr Haar. Dann sagte ihr Vater, er würde Gandhi nun wegbringen, und Vera erstarrte, das Schluchzen … Weiterlesen Die Totengräberin.

Olga bellt.

Mit großer Wahrscheinlichkeit lautet ihr Name nicht Olga. Aber sie sieht aus wie eine Olga, sie wirkt wie die garstige und übellaunige Trulla aus einem russischen Gesellschaftsroman, an dessen Ende alle Beteiligten sterben, nur eben Olga nicht, die dem eisigen Wind einer unfreundlichen Umwelt mit stoischer Gleichgültigkeit begegnet und sich an der Glut der abgebrannten … Weiterlesen Olga bellt.

Traugottverdammt.

Er war schön. Nicht bloß hübsch, nicht bloß gutaussehend, nicht bloß attraktiv. Sondern schön, richtig schön. So schön, dass Frauen, die ihn erblickten, von körperlichen Reaktionen berichteten, die einem Orgasmus nicht unähnlich waren, und manchmal ließen diese Emotionen gar Tränen der Glückseligkeit aus ihren Augen strömen. Männer zweifelten derweil an ihrer heterosexuellen Ausrichtung, wenn sie … Weiterlesen Traugottverdammt.