Die kahlen Gassen, die ausgetrockneten Venen der Stadt, weit hinter dem Herz. Manche wohnen hier, niemand lebt hier. Ab und an stolpern Betrunkene über die stumpfen Kanten, die Einsamen schieben ihre Hände tiefer in die Manteltaschen, gefallene Engel trinken die salzigen Tropfen von den Lippen, und manchmal muss jemand niesen, doch niemand sagt Gesundheit. Dampf steigt aus den Löchern im Asphalt und aus den Löchern in leeren Gesichtern und legt sich als zaghafter Nebel zwischen die Fassaden.
Eine Frau erzählt, sie wäre gerne an der Fjordküste in Norwegen oder im schottischen Hochland oder an einem See in Kanada oder irgendwo anderswo, möglichst weit weg von hier, aber niemand hört zu, niemand zeigt ihr den Weg, niemand nimmt sie mit oder zumindest in den Arm, also verstummt sie wieder. Sie muss niesen, doch niemand sagt Gesundheit, es ist niemand da, nur eine dreibeinige Katze humpelt einer Mauer entlang, still und apathisch, Körper und Glieder seltsam steif.
Ein Mann murmelt ins Nichts, er redet von seiner Tochter, die er seit acht Jahren nicht gesehen hat, und er kennt ihren Namen, doch er weiß nicht, wie sie heute aussieht, er würde sie nicht erkennen, wenn sie vor ihm stünde, und eigentlich braucht er seine Augen nicht mehr, er könnte sie verätzen oder ausstechen, es würde nichts ändern, aber er tut es nicht, vielleicht ist noch ein wenig Hoffnung übrig, er macht sie einfach zu, die Augen, und dann muss er niesen, der Mann, doch niemand sagt Gesundheit.
Bei der einzigen Straßenlaterne, die noch zu funktionieren scheint, hat jemand ein Herz an eine Mauer gemalt. Irgendwann bleibt eine Frau unmittelbar davor stehen, betrachtet das Herz, zieht die Nase hoch und bewegt sich nicht. Nach einigen Minuten tritt ein Mann neben sie, auch er starrt auf das Herz, schweigend und regungslos. Eine dreibeinige Katze humpelt vorüber, doch die Frau und der Mann bemerken sie nicht. Wortlos blicken sie auf das Herz an der Mauer, als wäre es ein Zeichen, eine Antwort, eine Erklärung.
Schließlich muss die Frau niesen. Ein Niemand sagt Gesundheit, seine Stimme klingt ein wenig brüchig, und die Frau zuckt zusammen. Dann bedankt sie sich und lächelt ihn an. Er lächelt zurück, und sie fragt ihn, ob er bereits einmal an der Fjordküste in Norwegen gewesen sei. Er räuspert sich leise und blinzelt einige Male, schaut die Frau an und schüttelt den Kopf. Noch nicht, flüstert er. Sie nickt. Noch nicht. Dann starren sie beide wieder auf das Herz an der Mauer.
