Er stand jeden Tag vor dem Haus an der Straße, außer bei starkem Regen, dann war er wohl drin, saß an einem alten Eichentisch oder auf einem hellbraunen Sofa, jedenfalls sah man ihn nicht, sah nur Licht im Fenster, also war er da. Niemand schien wirklich etwas über ihn zu wissen, aber man kannte ihn, alle kannten ihn, und manchmal blieben Leute stehen und fragten ihn, na, wie geht es denn, altes Haus? Dann kam Bewegung in das faltige Gesicht, er begann zu erzählen, wortreich und nuschelnd und wach, aber nach einigen Sekunden hörten die Leute gar nicht mehr zu, hatten keine Zeit und keinen Platz für seine Geschichten in ihrer Welt. Er blieb fremd, wie alle Fremden, und doch war er vertraut, war unersetzlich, er gehörte zur Stadt, wie all die Häuser an den Straßen, und womöglich nannten sie ihn deshalb altes Haus. Er war kräftig gebaut, und obschon er ziemlich verwittert war, wirkte er stets gesund. Man konnte nicht in seine Fensteraugen hineinschauen, er blickte lediglich aus ihnen hinaus in die Welt, in seine Welt, die irgendwie auch unsere war. Irgendwann zog man um, weg von dort, alle Leute zogen von dort weg. Er nicht. Er blieb da, doch man sah ihn nicht mehr. Sein Platz in der eigenen kleinen Welt wurde zu einer Lücke, er fehlte, doch meistens merkte man es gar nicht. Jetzt fragen andere Leute, na, wie geht es denn, altes Haus? Man kennt die Antwort nicht, aber man ist überzeugt, dass es ihn noch gibt, man hat nicht von seinem Tod gehört, also lebt er noch, auch jetzt, Jahre später, obwohl er schon damals alt schien, als man selbst noch jung war. In der Stadt reißen sie die alten Häuser ab, eines nach dem anderen, ersetzen sie durch unförmige Eisblöcke aus Beton und Glas, doch sein Haus, es steht bestimmt noch, und er steht davor, jeden Tag, außer bei starkem Regen, dann ist er wohl drin, sitzt an seinem alten Eichentisch oder auf dem hellbraunen Sofa.

Ein gelungenes Verbalstillleben,
Voller Poesie für das Alter,
Lieber Schreibfreund,
Weisst du, wir werden
Nämlich alle mal alt,
So nach und nach eben,
Ob Sonne oder Regen.
Das bleibt sich gleich…
Und irgendwann sind
Wir alle nicht mehr…
LikeLike
Ja, irgendwann sind wir jung, irgendwann sind wir alt, wenn wir’s bis dahin schaffen, und immer sind wir wir, bis wir gar nichts mehr sind… Vielen Dank für deine Worte, lieber Finbar…
LikeGefällt 1 Person
Sie schreiben Verfassungsliteratur. Das liest sich nicht weg, nicht nebenbei, nicht immer und nicht immer sollte man dazu sofort und gleich etwas sagen. Ich denke, für Ihre Texte sollte man sich in einer ganz besonderen Verfassung befinden. Sonst mag man die Pointen und Fallstricke übersehen. Und die sind wichtig.
Ihr Herr Hund.
LikeLike
Verehrter Herr Hund, Ihre Wortmeldungen, sie freuen mich sehr… Wie wichtig allfällige Pointen und Fallstricke sind, wage ich nicht zu beurteilen, doch ich danke Ihnen von Herzen, dass Sie hinschauen…
LikeLike
Ich drückte mich falsch aus. „Pointen und Fallstricke“ klingt auch zu sehr nach Variete und Zaubertricks. Im Grunde wollte ich nur sagen, man darf es sich nicht zu leicht machen, sonst mag einem manches entgehen. Ein gewisse Blogökonomie ist da notwendig.
LikeLike
Och, ich mochte die Pointen und Fallstricke, und gegen Zaubertricks habe ich eigentlich auch wenig einzuwenden, sei es auch nur für das kurze Wundern und Überlegen. In jedem Fall aber freue ich mich, dass Sie bei mir lesen. Danke, sehr.
LikeLike
Habe mir im Übrigen einen Text von Ihnen ausgedruckt, den ich mir mitnehme zu einem kleinen Urlaub. Auf Papier ein anderes Lesen, das bessere. Kommentar dazu folgt.
LikeLike
Oh, das freut und ehrt mich sehr, dass ich Sie beim Urlaub begleiten darf, in gedruckter Form, die, ja, ein anderes, wohl tieferes Lesen erlaubt… Ich hoffe, Sie haben bei der Wahl des Textes ein annehmbares Exemplar erwischt (was sich längst nicht von allen behaupten kann…). Danke!
LikeLike
Ja, ich habe das Exemplar an mich genommen. Es ist also annehmbar. (Aber Sie meinen wohl was Anderes. Soll ich Ihnen berichten?)
LikeLike
Ha! (Ja, sehr gerne.) Dann wünsche ich Ihnen einen unglaublich angenehmen Urlaub.
LikeLike
Ein feiner Dyalog zwischen euch beiden…
LikeGefällt 1 Person