Weinbergschnecken.

«Und dann die Banker, die hungrigen, die nimmersatten. Und dann die Versicherungsmenschen mit ihrem künstlichen Lächeln, den zerknitterten Anzügen aus dem Kaufhaus und den Aktenkoffern voller Kugelschreiber, die sie tausendfach verschenken und dabei so tun, als wäre man ein Auserwählter, wenn man einen erhält. Und dann die Staatsangestellten auf den Ämtern, die sich noch in … Weiterlesen Weinbergschnecken.

Olga bellt.

Mit großer Wahrscheinlichkeit lautet ihr Name nicht Olga. Aber sie sieht aus wie eine Olga, sie wirkt wie die garstige und übellaunige Trulla aus einem russischen Gesellschaftsroman, an dessen Ende alle Beteiligten sterben, nur eben Olga nicht, die dem eisigen Wind einer unfreundlichen Umwelt mit stoischer Gleichgültigkeit begegnet und sich an der Glut der abgebrannten … Weiterlesen Olga bellt.

Anna und Himbeereis.

Es gibt keine Perfektion beim Menschen, doch sie konnte sich nicht vorstellen, dass jemand dieser Vollkommenheit näher hätte kommen können als er. Ben. Eigentlich Benjamin, aber Ben passte besser. Er war liebenswert, klug, humorvoll, attraktiv, treu, achtsam, charmant, zärtlich, gefühlvoll, er war all die Adjektive, die Anna genannt hätte, falls sie nach den Attributen ihres … Weiterlesen Anna und Himbeereis.

Traugottverdammt.

Er war schön. Nicht bloß hübsch, nicht bloß gutaussehend, nicht bloß attraktiv. Sondern schön, richtig schön. So schön, dass Frauen, die ihn erblickten, von körperlichen Reaktionen berichteten, die einem Orgasmus nicht unähnlich waren, und manchmal ließen diese Emotionen gar Tränen der Glückseligkeit aus ihren Augen strömen. Männer zweifelten derweil an ihrer heterosexuellen Ausrichtung, wenn sie … Weiterlesen Traugottverdammt.

Hannas Geschirrtuch.

Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg, sagte ihr Vater, er sagte es immer wieder, und die Mutter sagte es auch, sie stickte es sogar auf ein Geschirrtuch, und das Geschirrtuch hat Hanna lange Zeit behalten, manchmal trocknete sie damit ihre Weingläser, zumindest versuchte sie es, doch immer blieb ein feuchter Film zurück, … Weiterlesen Hannas Geschirrtuch.

Strafzettel.

Sie war wohl etwa zwei Jahrzehnte alt, als man ihr sagte, dass etwas fehle. Dass es nicht reiche, nicht genüge. Dass sie nicht genüge. Sie hörte es nicht oft, und stets nur aus einem Mund, dem Mund eines Mannes, von dem sie damals dachte, dass er imstande sein könnte, all das einzulösen, was sie sich … Weiterlesen Strafzettel.

Der Streichholzmann.

Wann und weshalb es begann, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Am Anfang waren es lediglich einige Streichhölzer, die er aufeinanderlegte und sich freute, wenn ein kleiner Turm entstand. Dann räumte er sie wieder weg und ging aus, traf sich mit Freunden, lebte sein Leben. Es war ein gutes Leben, manchmal etwas schroff an den … Weiterlesen Der Streichholzmann.

Spucken in diesem Zusammenhang.

Männer spucken eben manchmal, findet A., seine Frau jedoch verbittet es sich, dass er seine oralen Absonderungen in der Wohnung deponiert, also geht A. im freundlichen Licht eines jungen Morgens auf den kleinen Balkon, auf welchem sich die Müllsäcke stapeln, lehnt seinen massigen Körper über die Brüstung und lässt seinem Mund einen beeindruckenden Speichelfetzen entweichen, … Weiterlesen Spucken in diesem Zusammenhang.

Das Cello.

Man sagte, sie sei seltsam. Sie sei ein wenig verrückt. Sie habe nicht mehr alle Tassen im Schrank. Man sagte, sie sei ein armes Ding, und es sei doch unglaublich schade, sie sei so eine hübsche junge Frau, und dann das. Man sagte, jemand müsste ihr doch helfen, aber man tat es nicht, man hatte … Weiterlesen Das Cello.

Aufstehen.

Der Schlossplatz in St. Petersburg. Bogside in Derry. Der Tian’anmen-Platz in Peking. Der Taksim-Platz in Istanbul. Die Plätze ändern ihre Namen. Was auf ihnen geschieht, bleibt sich gleich. Viele Menschen mit wenig Macht protestieren gegen wenige Menschen mit viel Macht, und die wenigen Menschen untermauern ihre Macht gegenüber den vielen Menschen mit allem, was in ihrer … Weiterlesen Aufstehen.

Der Protest.

Niemand konnte genau sagen, wann sie aufgetaucht oder woher sie gekommen war. Plötzlich stand sie da, am Rand des Waldes, neben einem Gehweg. Die vereinzelten Passanten musterten sie mit Blicken voller Neugier und Verwunderung, mitunter mischten sich auch Entrüstung oder eine gewisse Lüsternheit in die Augen der Betrachter. Zu Beginn wagte niemand, sie anzusprechen, nur … Weiterlesen Der Protest.

Ka(t)rin.

Karin lässt ihre Hand über das Laken gleiten. Sanft und zitternd. Etwas könnte zerbrechen. Dann graben sich die Finger in den Stoff. Katrin hat das Licht gedimmt und die Kerzen angezündet, sie duften nach Rosen und Sandelholz. Sie hat die CD von Portishead eingelegt, die Musik tröpfelt leise in den Raum. Als Katrin ihren Namen … Weiterlesen Ka(t)rin.

Der Exorzismus von Elisabeth.

Elisabeth war ein ganz normales Mädchen. Eine Geschichte, die mit diesen Worten beginnt, wird im weiteren Verlauf mit großer Wahrscheinlichkeit in die Erkenntnis münden, dass es sich bei besagter Elisabeth eben nicht um ein ganz normales Mädchen handelte. So auch diese Geschichte. Denn Elisabeth war zwar tatsächlich ein ganz normales Mädchen. Doch eine kleine Eigenheit … Weiterlesen Der Exorzismus von Elisabeth.

Als Jesus furzte.

Er sah seltsam aus, merkwürdig, sonderbar, eigenartig, doch sie mochte diese eigene Art, die ihrer Ansicht nach viel zu rar geworden war. In seinen langen Haaren hatten sich einige Sonnenstrahlen verfangen und versuchten emsig, sich zu befreien, doch es gelang ihnen nicht, zu dicht war der Schopf, zu verflucht verflochten die dunklen Strähnen, also leuchteten … Weiterlesen Als Jesus furzte.

Alles rauscht vorbei.

Sie sitzt im Zug und ist trotzdem nicht da. Sie blickt auf die Landschaft vor dem Fenster, und alles rauscht vorbei, doch sie sieht etwas anderes. Ihr Leben war gut, unter dem Strich, den sie am immer näher rückenden Ende ziehen müssen wird. Es war ein Leben. Ausreichend gefüllt mit den Dingen, die es ausmachen, … Weiterlesen Alles rauscht vorbei.

Paris, merde.

Sie war damals wohl etwa zwanzig und damit zwei oder drei Jahre älter als ich, sie hieß Patricia, mit c, war sehr klein und dünn und laut, doch ich mochte sie trotzdem, schon allein, weil sie mich beachtete, mit mir sprach, und womöglich war ich sogar ein wenig verliebt, wenn auch nicht allzu heftig und … Weiterlesen Paris, merde.

Zimmer 507.

Mein Name ist George E. Nelson, und ich bin aus geschäftlichen Gründen nach Hong Kong gekommen. Eigentlich stamme ich aus Louisville in Kentucky, wo ich vor vierzig Jahren zur Welt gekommen bin. Zwischen damals und heute liegen eine durchschnittliche Kindheit, eine durchschnittliche Jugend, durchschnittliche Leistungen in der Schule, durchschnittliche sexuelle Erfahrungen mit durchschnittlichen Mädchen, dann … Weiterlesen Zimmer 507.

Die lächerliche und fiktive Biografie von Francesco.

Vor gefühlten Jahrzehnten, als Unmengen von Zeit in meiner Welt herumlagen, die es totzuschlagen galt, um mich von Gedanken an meine Arbeitslosigkeit und die Irrelevanz meiner Existenz abzulenken, gewöhnte ich mir an, diesem Totschlagen die Form von täglichen Ausflügen zum Supermarkt meines Vertrauens zu geben, der glücklicherweise nur wenige Gehminuten von meiner Wohnung entfernt lag. … Weiterlesen Die lächerliche und fiktive Biografie von Francesco.