Männer spucken eben manchmal, findet A., seine Frau jedoch verbittet es sich, dass er seine oralen Absonderungen in der Wohnung deponiert, also geht A. im freundlichen Licht eines jungen Morgens auf den kleinen Balkon, auf welchem sich die Müllsäcke stapeln, lehnt seinen massigen Körper über die Brüstung und lässt seinem Mund einen beeindruckenden Speichelfetzen entweichen, der sich im freien Fall stetig verformt, sich in die Länge zieht und schließlich genau dort landet, wo Speichelfetzen in der Regel nicht landen sollten, nämlich im üppigen Dekolletee von B.
Die besagte Dame, allgemein nicht unbedingt für ihre Frohnatur bekannt, ist heute besonders übellaunig, entsprechend lautstark und reich mit Schimpfwörtern verziert ist ihre verbale Reaktion auf die seltsame Flüssigkeit zwischen ihren Brüsten, und B. gibt ihrem Ekel so lautstark Ausdruck, dass C. vor Schreck von seinem Rad fällt.
Der kleine C. ist auf dem Weg zur Schule, was in seinen Augen gleichbedeutend ist mit dem Weg zur Schlachtbank, denn in seinem Schulalltag ist nur ein Klang so sicher wie die Pausenglocke, nämlich das Dröhnen in seinem Ohr, nachdem sein Intimfeind, ein pickliger Junge in der Klasse über ihm, seine fleischige Hand auf eben dieses Ohr hat prallen lassen, doch heute nicht, denn heute wird C. vom Geschrei der entrüsteten B. so stark abgelenkt, dass er mit seinem Rad den Randstein streift und auf die Straße prallt, direkt vor das Auto von D.
Sie ist spät dran, holt die letzten Geschwindigkeitsreserven aus ihrem alten Toyota, und als sich der kleine C. vor ihren Augen unfreiwillig auf den Asphalt legt, hämmert D. ihren Fuß auf das Bremspedal, die Reifen quietschen und ihr japanisches Qualitätsfahrzeug kommt wenige Zentimeter vor dem blonden Schopf des Jungen zum Stillstand, und D. schreit hysterisch, lauter als Bonnie Tyler im Radio, dann steigt sie aus und stolpert zu C., der wimmernd am Boden liegt, und D. zieht ihn hoch, streichelt seine Wange und fragt ihn, ob alles in Ordnung sei, bis sie die Wunde an seinem Kopf bemerkt, und ohne lange nachzudenken, hebt sie C. hoch, trägt ihn zum Auto, setzt ihn auf den Beifahrersitz, verstaut sein Fahrrad im Kofferraum und rast ins Krankenhaus, wo die Ärzte sich lange Zeit lassen, bevor sie sich um C. kümmern, der aber nur einige Schrammen und einen kleinen Schock zu haben scheint, und natürlich kommt D. nun viel zu spät zur Arbeit, und das ist eigentlich nicht gut, hat aber den Vorteil, dass sie für einmal den lüsternen Annäherungen von E. entgehen kann.
Dieser E. ist eine traurige Gestalt, er riecht seltsam und ist an den unwahrscheinlichsten Stellen behaart, und er macht sich einen Spaß daraus, D. jeweils mit Anzüglichkeiten und handfesten Tatsachen zu belästigen, doch heute ist D. nicht da, also richtet E. seinen chauvinistischen Fokus auf F., die zwar nicht unbedingt sein Typ ist, aber immerhin Brüste hat, die er freudig betatscht und dabei süffisant lächelt, aber nur so lange, bis er das hochschnellende Knie von F. zwischen seinen Beinen spürt, und geplagt von Kastrationsängsten und mit Tränen in den Augen eilt er davon, begleitet von nachhallenden Verwünschungen aus dem Mund der energischen F.
Diese geht nach einer kurzen Zigarettenpause in das Büro des Personalverantwortlichen G., erzählt ihm von dem Zwischenfall mit E. und fordert Konsequenzen, doch eigentlich weiß F., dass diese ausbleiben werden, und tatsächlich stammelt G. etwas von Spaß und findet, man solle doch fünf gerade bleiben lassen und ein Auge zudrücken, und an jedem anderen Tag wäre F. wohl einfach entmutigt und leise fluchend aus dem Büro geschlichen, doch heute nicht, heute ist der Tag, an dem sie genug hat, sie versteht keinen Spaß mehr, und sie schreit G. an, dass die Fünf eine gottverdammte Primzahl sei, und die einzige gerade Primzahl sei die Zwei, und hätte F. diese Anzahl Eier zwischen den Beinen, würde er endlich etwas unternehmen, aber ganz offensichtlich habe er keine Eier, er sei auch nur so ein kleines sexistisches Arschloch wie E., und sie halte das nicht mehr aus, also kündigt F. und wirft beim Hinausgehen noch eine Zimmerpflanze um.
G. zuckt mit seinen schmalen Schultern, trottet wie ein geschlagener Hund zur Zimmerpflanze und versucht, die verschüttete Erde einzusammeln, wobei er sich so stark bückt, dass seine Hose und sein Hemd den Kontakt zueinander verlieren und eine leicht behaarte Spalte freilegen, was natürlich kein schöner Anblick ist, und genau mit diesem Anblick ist H. konfrontiert, die in diesem Moment das Büro von G. betritt, um ihm die Post zu bringen.
Sie ist sowieso von einer gewissen Übelkeit geplagt, die durch die unfreiwillige Offenbarung von G. noch einmal potenziert wird, und H. legt die Umschläge und Zeitungen wortlos auf den Tisch und schleicht aus dem Büro, sputet dann zur Toilette, schafft es aber nicht mehr rechtzeitig und übergibt sich auf den Flur, was wiederum bei I., der gerade dabei ist, eine Neonröhre auszuwechseln, die Alarmglocken schrillen lässt.
I. ist seit 27 Jahren Hausmeister im Betrieb, und noch nie in seiner gesamten Laufbahn hat ihm jemand in den Flur gekotzt, und mit verärgertem Blick und geschütteltem Kopf holt er den Wischmopp und putzt das Erbrochene weg, und während er H. verflucht, kommt ihm J. entgegen.
Dieser J. hat seine Nase noch viel voller als I., so voll, dass heute der Tag seines Amoklaufes sein sollte, doch als er den putzig putzenden I. erblickt, sieht er ein, dass sein Leben, diese Ansammlung aus Tränen und Exkrementen, noch viel schlimmer sein könnte, und die Tatsache, dass er sich im Gegensatz zu I. nicht um die Kotze fremder Menschen kümmern muss, ist ihm ein merkwürdiger Trost, und J. schultert die Tasche mit den Waffen und macht kehrt, verlässt das Gebäude und setzt sich auf eine Parkbank, auf welcher sich bald darauf auch K. niederlässt.
K. ist traurig, ihr Freund hat sie verlassen, wie all die Freunde zuvor, und sie weint leise, als eine Hand mit einem Taschentuch vor ihren Augen auftaucht, und sie dreht sich um, sieht J. und lächelt ihn mit dankbarem Blick an, und dieser Blick entfacht eine kleine Flamme in J., die mit jeder Sekunde heißer und heller brennt, und auch K. spürt die Wärme in sich, und schon bald darauf sitzen sie einander so nahe, dass kaum mehr Luft zwischen sie passt, eine Nähe, die K. so gut tut, dass sie ihren Plan, das Auto von L., ihrem verflossenen Freund, mit ihrem Schlüssel zu zerkratzen, kurzerhand fallen lässt und sich in eine innige Umarmung mit J. fügt.
Für L. wäre genau dieses Zerkratzen des Lacks jedoch lebensrettend gewesen, denn es hätte ihn davon abgehalten, um die übliche Zeit seinen Arbeitsweg anzutreten, was er nun aber tut, er fährt los wie gewohnt, denkt dabei an die beendete Beziehung mit K. und ist deshalb ziemlich unaufmerksam, was erklärt, weshalb L. den Kipplader zu spät bemerkt, der auf der Landstraße steht, und durch den unvermeidlichen Aufprall wird sein Wagen zusammengefaltet wie ein Akkordeon, L. wird eingeklemmt und kann vor Schmerzen kaum schreien, tut es aber trotzdem und auch dann noch, als M. an der Unfallstelle eintrifft.
M. ist Rettungssanitäter und von den Begleiterscheinungen seiner Arbeit ziemlich überfordert, und während er neben L. im Krankenwagen sitzt und sich von seinen Reanimationsversuchen erholt, bricht er in Tränen aus, und als der Puls von L. schließlich zum Erliegen kommt, ist sein Entschluss gefasst, es ist dies der letzte Tag von M. als Rettungssanitäter, er erträgt es einfach nicht mehr, und zurück im Krankenhaus schreibt er seine Kündigung und übergibt sie N., seinem Vorgesetzten, der den Entscheid von M. mit gespieltem Bedauern zur Kenntnis nimmt.
Eigentlich ist es N. egal, was M. macht, seine Gedanken drehen sich um O., in die er schon seit Monaten verliebt ist, ohne sich ihr anzuvertrauen, doch das bestürzte Gesicht von M. lässt ihn über die Zeit und den Wert des Lebens sinnieren, und ihm wird klar, dass er nicht mehr länger warten kann, also ruft er O. an, redet mit ihr zuerst über einige Banalitäten, bevor er ihr ohne Vorwarnung gesteht, dass er sich wohl in sie verliebt habe.
O. ist ziemlich überrascht, damit hätte sie nicht gerechnet, zumal sie ihrerseits mehr als nur ein Auge auf P. geworfen hat, einen Freund von N., der gerade in diesem Moment nackt neben ihr im Bett liegt, und sie zögert, N. davon zu erzählen, doch nach wiederholten Liebesbeteuerungen von N. fällt sie ihm ins Wort und sagt, dass sie mit P. geschlafen habe, worauf N. zornig das Telefonat beendet.
Für O. wäre damit alles geklärt, nicht aber für P., der nicht will, dass sein Freund N. wütend oder enttäuscht von ihm ist, also sagt P. zu O., dass er das nicht tun könne, dass ihm seine Freundschaft zu wichtig sei, als dass er sie durch die Episode mit ihr in Gefahr bringen möchte, und P. steht auf, zieht sich an und verlässt die Wohnung, steht draußen ziemlich verunsichert auf dem Gehsteig, betrachtet die Menschen, die an ihm vorüberziehen wie Lava, als er plötzlich ein bekanntes Gesicht bemerkt, und nach einem zweiten Hinsehen erkennt er Q., seinen Vater.
Was er denn hier mache, fragt P. seinen Vater, und Q. gibt zurück, dass er spazieren gehe, er müsse seinen Kopf auslüften, denn er habe sich mit R. gestritten, seiner Frau und folglich der Mutter von P., und jener möchte wissen, was der Grund für die Auseinandersetzung war, doch Q. mag nicht darüber reden, also erzählt P. von den Geschehnissen der vergangenen Stunden und wie wichtig ihm die Freundschaft zu N. sei, und Q. überlegt laut, wer denn sein bester Freund sei, und als einzige Antwort fällt ihm R. ein, was ihn dazu veranlasst, so schnell wie möglich nach Hause zu gehen und ihr diese Erkenntnis mitzuteilen.
R. hört Q. zu, ziemlich verwundert über seine ungewohnte Offenheit, und als er ihr sagt, dass sie seine beste Freundin sei, kommen ihr die Tränen, und kurz darauf ruft R. ihre Freundin S. an, die sie bereits gebeten hatte, ihr für einige Tage Unterschlupf zu gewähren, weil sie es zu Hause nicht mehr aushalte.
Doch nun ist alles anders und das Gästebett bei S. bleibt leer, und S., die bereits alle Termine des Tages abgesagt hatte, um für R. da sein zu können, sieht sich mit einem Tag ohne Verpflichtungen konfrontiert, den sie entsprechend nutzen will, um neue Kleider zu kaufen, und sie geht los, hinein in das Getümmel in der Stadt, streift durch die Geschäfte, und als sie vor einem Schaufenster steht, schwirrt eine Wespe um ihren Kopf, weshalb S., die panische Angst vor Wespen hat, hektisch mit ihren Armen fuchtelt, so ausladend, dass sie, ohne es zu realisieren, mit der Hand die Nase von T. trifft, der gerade hinter ihr vorbeigeht.
T. erschrickt heftig, fasst sich an die geschlagene Nase und muss feststellen, dass sie blutet, was ihn wiederum daran erinnert, dass er beim Anblick von Blut zur Ohnmacht neigt, also lässt er sich prophylaktisch zu Boden fallen, direkt vor die Füße von U., die nicht mehr reagieren kann und über den Körper von T. stolpert.
U. fällt ebenfalls hin, wobei ihre Strümpfe an den Knien aufreißen, und nachdem sie sich versichert hat, dass bei T. alles in Ordnung und nur halb so schlimm ist, betrachtet U. das Loch in den Strümpfen und schüttelt den Kopf, steht auf und geht langsamen Schrittes weiter, ein bisschen wacklig auf den Beinen und noch so verwirrt, dass sie nicht bemerkt, wie V. sich ihr nähert und ihr unbemerkt den Geldbeutel aus der Handtasche fischt.
Der junge V. geht möglichst unauffällig weiter, mit einem leichten Grinsen im Gesicht, das aber sogleich weggewischt wird, denn W. hat den Diebstahl beobachtet und stellt V. zur Rede, hält ihn am Kragen fest, nimmt den entwendeten Geldbeutel an sich und reicht ihn an U. weiter, die perplex daneben steht und ein unbeholfenes Wort des Dankes stammelt.
W. redet weiter auf V. ein, und als dieser ziemlich frech und pampig wird, spuckt W. ihm unvermittelt ins Gesicht.
Man könne doch niemanden anspucken, rufen X und Y dazwischen, eineiige Zwillinge, die zufällig vorbeigekommen sind, doch W. gibt nur zurück, dass Männer eben manchmal spucken, und V. habe nichts Besseres verdient, was schließlich auch von Z. bestätigt wird, die das Geschehen aufmerksam verfolgt hat und den Einwand von X und Y ungemein unangebracht findet, von W. und seinem energischen Eingreifen aber so begeistert ist, dass sie ihn danach zu einem Kaffee einlädt.
Während sie sich gegenüber sitzen und in den Augen des anderen versinken, sagt Z. zu W., dass es schon seltsam sei, das Leben, und wie eine kleine, scheinbar unwichtige Begebenheit den gesamten Verlauf der Zeit beeinflussen könne, und W. nickt, lächelt Z. an und meint, dass er das Spucken an sich ziemlich eklig finde, es am heutigen Tag aber durchaus folgenreich sein könnte, worauf Z. seine Hand greift, mit ihren Fingern seine Haut streichelt und leise flüstert, dass sie dem Spucken in diesem Zusammenhang ebenfalls einiges abgewinnen könne, etwas Wunderschönes vielleicht.

eben habe ich diesen Text entdeckt und mich köstlich amüsiert, obwohl ich von dieser blödsinnigen Spuckerei immer wieder angewidert bin und das immer mehr.
Weißt Du etwa, was das soll? Ich komme nicht dahinter.
Soll es Männlichkeit demonstrieren oder ist es die pure Langeweile, die sie spucken läßt?
„wenigstens habe ich jetzt mal gespuckt, wenn ich schon sonst nix zu tun habe“.
Diese Kettenreaktion, die Du da schreibend in Szene setzt, ist drehreif, ablsolut reif für einen Kurzfilm, lieber Disputnik, klasse
Lieber Gruß von mir
LikeLike
Das Geheimnis des Spuckens hat sich mir auch noch nicht erschlossen, liebe Bruni, aber damit reiht es sich wohl einfach in die lange Reihe an Rätseln ein, die ich nicht zu entschlüsseln vermag… Vielen lieben Dank für deine Worte!
LikeLike
hi disputnik,
du hast ein besonderes Faible für s/w-Fotos, stimmt’s?
wie erklärst du dir das? *interessiert und fragend guck*
(kommt durch sie vllt. noch zusätzlich etwas mehr
mono no aware eintönung deiner brillanten texte zustande?)
lg vom lu
LikeLike
Lieber Finbar, eine Erklärung habe ich nicht, es sind wohl primär ästhetische Beweggründe. Einem Zusammenhang mit der doch eher melancholischen Prägung der Texte, teilweise wohl auch mit Aspekten des mono no aware, würde ich natürlich nicht widersprechen. Grundsätzlich sind aber wohl eher Stimmung und Wirkung des Bildes entscheidend, nicht unbedingt die Farbgebung… Vielen Dank für deinen fragenden Blick und für deine Worte…
LikeLike
die überwiegende Zahl deiner tollen Texte ist schon mono no aware geprägt (das macht sie für MICH ja auch so attraktiv und melancholisch schön) …
und das gilt auch für die ästhetischen Fotos, die du auswählst, finde zumindest ich.
Danke für deine interessante Antwort *lächel* und ja, Ästhetik über alles! *g*
LikeLike
Danke (ein weiteres Mal) für deine Worte, lieber Finbar, schön, dass du sowohl an den Bildern als auch an den Texten Gefallen findest… Die Ästhetik jedoch, einige Dinge möchte ich ihr nicht unterordnen, aber da dürfte es dir ähnlich gehen…
LikeLike
Human Domino Day 🙂 Und wenn alle Steinchen A bis Z umgefallen sind, haben wir mal wieder ein herrlich unkonventionell schönes Bild. Trotz der Spucke.
LikeLike
Nein nein, nicht trotz, sondern wegen der Spucke… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte!
LikeLike