Sie blickt in ihre Augen, diese dunkelbraunen, beinahe schwarzen Löcher in ihrem Gesicht. Irgendwo muss sie doch sein, irgendwo in der Tiefe, von der man ihr früher erzählte, sie erinnere an einen Ozean. Vielleicht stimmt es. Vielleicht liegt sie dort unten, in der Dunkelheit auf dem Grund eines Meeres. Sehen kann sie sich nicht. Alles, was sie sieht, ist das feuchte Glänzen ihrer Augen und die Spuren, die ihre Schminke auf der Haut hinterlassen hat.
Er sitzt auf der Couch, dessen Stoff an den Kanten zerschlissen ist, und starrt auf den Fernseher, wo unbekannte Menschen für ein wenig mediale Aufmerksamkeit ihrer Selbstachtung entsagen und sich als seelenlose Idioten inszenieren lassen. Sie betritt das Wohnzimmer, und er blickt kurz auf, sieht sie an. Dann widmet er sich wieder dem Geschehen auf dem Bildschirm, quittiert es mit einem mitleidigen Lächeln. Sie kennt dieses Lächeln, das sich in seinem stumpfen und gönnerhaften Gebaren nicht wirklich von den synthetischen Emotionen der Menschen im Fernsehen unterscheidet. Sie möchte noch immer glauben, dass er anders ist. Dass er seine Menschlichkeit und Freundlichkeit, sein gütiges Wesen und seinen wahren Charakter nur verbirgt, um sich zu schützen. Sie möchte in ihm etwas Wunderbares sehen. Im Moment ist es nicht da. Sie sieht sich um in der Zeit, um es zu suchen, doch der Blick, er trübt sich.
Als sie sich zum ihm setzt, hustet er kurz und betrachtet weiterhin gebannt, wie sich die Protagonisten im Fernsehen anschreien. Ohne sich abzuwenden, sagt er, dass er es heute gerne machen will. Sie weiß, was er damit meint, sie haben darüber gesprochen. Obwohl sie es nicht begreifen konnte, hat sie eingewilligt, doch nun, da es geschehen soll, macht es ihr noch mehr Angst als zuvor. Sie nickt langsam, steht auf und geht zum Balkon. Sie steigt nach draußen, schließt die Glastür hinter sich und zündet sich eine Zigarette an. Vereinzelte Autos fahren unter ihr über die nasse Straße, die letzten Tropfen des Regenschauers prallen auf ihr Gesicht. Das konstante Rauschen in ihren Ohren wird lauter. Sie beobachtet die Blätter des Baumes auf der gegenüberliegenden Straßenseite, die im kühlen Wind ein wenig zittern.
Sie blickt durch die Glasscheibe ins Wohnzimmer. Er hat den Fernseher ausgeschaltet, stattdessen spielt laute Rockmusik. Sein Kopf wippt im Takt, und mit geübten Handgriffen legt er zurecht, was er benötigt. Als das Feuerzeug aufflammt, wendet sie sich ab und fixiert wieder die Blätter des Baumes, dessen Äste und Zweige. Sie scheinen nach ihr zu greifen, sie an sich ziehen zu wollen. Falls sie ihren Körper erreichen könnten, würde sie es geschehen lassen, denkt sie. Doch dann hört sie sein Rufen aus dem Wohnzimmer.
Er hat Jeans und T-Shirt ausgezogen, sein drahtiger Körper und die weiße Haut wirken wie Störenfriede auf dem dunklen Stoff der Couch. Sie sieht die Spritze neben ihm und zuckt zusammen, als ob sie nicht damit gerechnet oder etwas anderes erwartet hätte. Ohne in sein Gesicht zu blicken, kniet sie sich vor ihm hin und streift seine Boxershorts über seine dürren Beine. Mit mechanischen Bewegungen nimmt sie seinen Penis in ihre Hand, bewegt sie langsam und allmählich schneller. Ihr Blick haftet an der Spritze, die immer wieder ihre Form verändert, vor ihren Augen verschwimmt wie ein flüssiges Trugbild. Er gräbt seine Finger in ihr Haar, zieht ihren Kopf stetig heftiger zu sich. Schließlich legt sie ihre Lippen auf sein Glied, umschließt es und versucht, ihren Kopf zum Takt der Musik bewegen, doch das Rauschen in ihren Ohren übertönt die Gitarren. Als er nach der Spritze tastet, schließt sie ihre Augen. Trotzdem sieht sie, wie er seine Ader sucht. Sie sieht, wie die Spitze sich in die Haut bohrt. Sie sieht seinen Daumen, der langsam nach unten drückt. Als er sich unter einem seltsam kindlichen Stöhnen in ihren Mund ergiesst, schafft sie es nicht länger, ihren Brechreiz herunterzuschlucken. Sie übergibt sich in seinen Schoss. Viel kommt nicht aus ihr heraus. Ihm scheint es egal zu sein. Er lächelt oder weint, sie weiß es nicht. Sie lächelt jedenfalls nicht.
Im Badezimmer versucht sie, noch einmal zu erbrechen. Ein leeres Würgen verliert sich im klaren Wasser in der Toilettenschüssel. Sie steht auf, stellt sich vor den Spiegel und blickt in ihre Augen. Irgendwo muss sie doch sein, denkt sie, bevor der Ozean über die Ufer tritt. Ihre Haut überschwemmt. Und alles mitreißt, was noch lebt.

Mir dreht sich grad echt der Magen um. Du schreibst aber auch immer intensiv. Hilfe…
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Na dann Entschuldigung für den umgedrehten Magen, aber Danke fürs Lesen und für die Worte…
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Verzeih …sie sollten nicht zum Vorwurf geschrieben sein. Aussichtslosigkeit, Resignation, Willenlosigkeit. Das liest sie eben einfach noch viel emotionaler, als es häufig eine Filmszene darstellen kann.
Auch wenn mich Begegnungen mit dem Drogenmilieu immer sehr treffen und auf wühlen.
Wie im vergangenen Winter. Als eine schwer abhängige Frau mit ihrem Sohn neben mir stand. Ihr ca 5 Jahre alter Sohn im zerschlissenen Schneeanzug an ihrer Seite. Ein Mann kam dazu. Selber die typischen Heroinabhängigen anzeichen. Er sprach in gebückter Haltung, langsamer leicht lallender Stimme den Kleinen an und gab ihm fünf Euro in die Hand. Schüchtern bedankte sich der Kleine.
Das machte mich voll fertig. Spiegelte einfach so ein scheißleben wieder und die Gedanken machten tagelang erstmal ne wilde Talfahrt und konnten das Thema gar nicht beiseite schieben…
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Als Vorwurf las und lese ich deine Worte keineswegs, und ein Magenumdrehen auszulösen ist einem Text wohl lieber als gar nichts auszulösen…
Ja, es ist schockierend und traurig, ein von Drogen versehrtes Leben zu sehen, noch viel mehr, wenn Kinder involviert sind. Scheissleben, ja. Einmal mehr.
Nochmals vielen lieben Dank für dein Lesen, für deine Worte und Gedanken…
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Ist es wohl sehr häufig ja. Da braucht es wohl vermehrt Distanz zum Einen und positive thinking zum anderen.
Lieben Gruß und einen schönen Tag für dich 🙂
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……und sollte sie nicht gestorben sein, wird sie weiter hoffen, sich an kleinen Aufmerksamkeiten monatelang erfreuen…..scheiss Coabhängigkeit..“Wenn Frauen zu sehr lieben..“
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Vielen Dank für deine Gedanken zur Geschichte!
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Realitätsnah – obwohl wenig darüber gesprochen wird, sondern meist nur verschönert. Sehr schön verfasst.
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Vielen Liebdank dir, fürs Lesen und Kommentieren…
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