Das Entfliehen.

Irgendwann bleibt sie stehen und blickt sich mit blinzelnden Augen um. Sie fragt sich, wo sie ist und wie sie hier gelandet ist. Eigentlich hätte es ein Spaziergang auf wohlbekanntem Terrain werden sollen. Doch dann kamen ihre Gedanken vom Weg ab und schließlich auch ihr Körper. Solche Dinge ereignen sich immer wieder, immer häufiger, wie … Weiterlesen Das Entfliehen.

Meeresgrund.

Im Supermarkt ist jeder Salat in der Gemüseabteilung verfault, jeder einzelne Salatkopf grinst mit braunen Blättern aus seiner Kunststoffverpackung. Sie hebt einen Salatkopf hoch, wendet ihn in ihren zitternden Händen und knallt ihn wieder zurück ins Regal, greift sich den nächsten Salatkopf und schleudert auch diesen wieder zurück. Alles ist verfault! brüllt sie in die … Weiterlesen Meeresgrund.

Wider Erwarten.

Du musst dein Zimmer aufräumen, du musst lesen, du musst schreiben, du musst Danke sagen, du musst höflich sein, du musst addieren und subtrahieren und multiplizieren und dividieren, du musst ein Instrument spielen, lieber Geige als Gitarre, du musst pünktlich sein, du musst lernen, du musst dir Mühe geben, du musst auf die Zähne beißen, … Weiterlesen Wider Erwarten.

Unverschoben.

Wenn sie ehrlich mit sich ist, klappt die Sache mit dem Glücklichsein vor allem dann, wenn sie die Augen schließt. Aber Dina ist nicht sonderlich gut darin, ehrlich mit sich zu sein. Am Anfang ist alles schwarz. Dann rötlich, ein dunkles Orange vielleicht. Dann kommen die Bilder. Dina kennt die Frau nicht, und dennoch wirkt … Weiterlesen Unverschoben.

Akkurat.

Sie schiebt die beiden weißen Frottiertücher auf der Stange zurecht, zupft an einer Ecke noch ein wenig. Dann tritt sie einen Schritt zurück, schaut prüfend, schließt das linke Auge, öffnet es wieder, schließt das rechte Auge, öffnet es wieder. Sie nickt kurz und verlässt das Badezimmer. Ein Mann namens Sebastian ruft an. Er will wissen, … Weiterlesen Akkurat.

Aus dem Bild.

Sie geht mit stummen Schritten über Wiesen, gleitet schweigend durch Wälder, atmet Natur und Reinheit ein. Sie registriert, wie der Lärm allmählich verebbt, sie hört das Rauschen des Blutes im Ohr. Sie berührt ihr Gesicht, berührt den gesamten Körper, spürt die Wärme ihrer Haut. Sie zieht ihre Schuhe aus, streift störende Kleidung ab. Irgendwann stellt … Weiterlesen Aus dem Bild.

Irreführende Werbung.

Was ist schon Wahrheit, sagt er, und zuckt mit den Schultern, und womöglich weiß er es tatsächlich nicht. Er wischt sich ein wenig Staub vom Hemd, vielleicht sind es auch Hautschuppen. In einem merkwürdigen Automatismus sieht er den Zerfall, ohne sich darüber Gedanken zu machen. Sie lässt ihre Finger über die Haut gleiten. Sie ist … Weiterlesen Irreführende Werbung.

Ihre Lieder.

Sie hat eine Melodie im Kopf, passende Wortfetzen, die Idee eines Liedes. Sie glaubt, es wäre ein besonderes Lied, und sie möchte es festhalten, möchte es niederschreiben, so gut es geht, doch sie ist unterwegs, ohne Stift, ohne Papier. Sie sieht eine Telefonzelle, geht hinein, schließt die Tür. Sie singt das Lied in die hermetisch … Weiterlesen Ihre Lieder.

Sie hieß Kurt.

Er war eine schöne Frau. Vielleicht nicht von außen, ganz sicher nicht aus der Distanz, aber womöglich aus der Nähe. Und hoffentlich im Innern. Merkwürdigerweise traf man sie stets an der Altglassammelstelle in der Nähe des Einkaufszentrums. Manchmal entsorgte sie ihre Flaschen dort, manchmal stellte sie auch einfach ihr Moped auf den Parkplatz neben den … Weiterlesen Sie hieß Kurt.

Linkous, der Kater.

Er erzählt von diesem Kater. Ein fürchterlich hässliches Tier, pelzig und dick und plump, mit einem garstigen Gesicht und einem unförmigen Knick im Schwanz. Er redet sehr dynamisch, wild gestikulierend und lebhaft, man kann den Kater förmlich sehen, und seine Geschichte, sie ist zwar traurig, aber man muss unentwegt lachen, denn schließlich geht es nur … Weiterlesen Linkous, der Kater.

Bert und Anita.

Sie war ihm unweigerlich aufgefallen. Schöne Frauen fallen ihm meistens auf, und sie war außergewöhnlich schön, zumindest nach seinem Empfinden. Sie war mit einem Mann im Lokal, der offensichtlich ihr Freund oder Liebhaber war; sie saßen sich gegenüber, einige Meter von Bert entfernt. Immer wieder tauschten sie die Blicke aus, die man aus Filmen kennt, … Weiterlesen Bert und Anita.

Ein Moment ohne Ort.

Jemand sagte ihr einst, ein Moment erhalte seine Form erst im Rückblick, im Erinnern. In der Gegenwart, also in ihm selbst, lasse sich der Moment gar nicht erfassen und greifen. Somit, denkt sie sich, müsste jedes Bild, das man von einem Moment hat, erst nach diesem Moment entstanden sein. Was bedeuten würde, dass es gar … Weiterlesen Ein Moment ohne Ort.

Von Kopf bis Fuß.

Der Kopf. Alles beginnt hier, in und mit ihm, ob er durch die Wand geht oder hinein in die Welt. Jedes Wort und jede Lüge, jede Angst und jedes Bild, jeder Traum und jeder Lapsus, jede Leere, jede Erfüllung, jede Wut und jeder Mut, alles beginnt hier. Jedes Ende sowieso, denkt sie und beißt sich … Weiterlesen Von Kopf bis Fuß.

Mit anderen Augen.

Der Spiegelschrank im Badezimmer lässt sich kaum mehr schließen, die schmalen Regalflächen sind überfüllt, unzählige Hautlotionen in bunten Plastikflaschen, und manche duften sehr angenehm, doch keine davon wirkt, weder jene, die rasch durch die Poren dringen, noch jene, die einen zähen Film bilden. Wie viele Schichten sie auch aufträgt, sie fühlt sich nicht wohl in … Weiterlesen Mit anderen Augen.

Der Streichholzmann.

Wann und weshalb es begann, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Am Anfang waren es lediglich einige Streichhölzer, die er aufeinanderlegte und sich freute, wenn ein kleiner Turm entstand. Dann räumte er sie wieder weg und ging aus, traf sich mit Freunden, lebte sein Leben. Es war ein gutes Leben, manchmal etwas schroff an den … Weiterlesen Der Streichholzmann.

Grand Canyon.

Bei der Geburt war noch Weite. Da waren unermessliche Dimensionen, und sie wuchsen sogar noch an mit den Jahren, und als man ihr irgendwann sagte, dass die Welt nicht dort aufhöre, wo der Himmel den Baumwipfeln begegne, war sie verwirrt. Schon die Dinge, die sie sehen konnte, passten nicht in ihren Kopf, waren zu üppig, … Weiterlesen Grand Canyon.

Subtraktion. Ein Tanz.

Die aufgeschürfte Stelle am Kinn. Die ungelesenen Bücher im Regal. Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins. Den Körper ihrer Katze, den sie damals als Kind auf der Straße fand. Die leeren Stellen in ihrer Biografie. Das Knarren der Dielen, bevor er kam. Den Hunger. Die Sehnsucht nach Wärme. Den toten Vater. Ihr Spiegelbild im ausgeschalteten Fernseher. … Weiterlesen Subtraktion. Ein Tanz.