Irgendwann bleibt sie stehen und blickt sich mit blinzelnden Augen um. Sie fragt sich, wo sie ist und wie sie hier gelandet ist.
Eigentlich hätte es ein Spaziergang auf wohlbekanntem Terrain werden sollen. Doch dann kamen ihre Gedanken vom Weg ab und schließlich auch ihr Körper. Solche Dinge ereignen sich immer wieder, immer häufiger, wie es ihr scheint. Zunächst ist sie im Hier und Jetzt, doch alsbald, ohne bewusstes Zutun, enteilen ihr die Gedanken, hin zu einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit.
Manchmal widerfährt es ihr mitten in Gesprächen. Einmal ergriff ihre Mutter sie an beiden Schultern und schüttelte sie heftig, doch erst, als sie ihren Namen in ihr Gesicht brüllte, kehrte sie wieder zurück in den gegenwärtigen Moment. Sie weiß nicht, weshalb es geschieht, das Entfliehen. Sie weiß nicht, wie und wann es begann.
Bisweilen fragt sie sich, ob ihr das Hier und das Jetzt zuwider sind, ob sie sich häufig fehl am Platz und fehl in der Zeit fühlt. Ihr fällt auf, dass sie immer häufiger versichert, wie gut es ihr gehe, sich selbst dabei aber immer seltener glaubt.
Sie legt ihre Handflächen auf ihr Gesicht, atmet den Geruch ihrer Haut ein. Dann lässt sie die Hände sinken und sieht sich erneut um. Ansatzweise kann sie sich orientieren, erkennt Richtungen, ohne tatsächlich zu wissen, wo sie sich genau befindet. Sie sieht vereinzelte Bäume und Waldstücke, sieht Hügelzüge und in der Ferne den rauchenden Schornstein einer Fabrik. Sie zieht ihre Schuhe aus und tastet sich mit nackten Füssen vorwärts, so unsicher und hastig wie ein Kind in einem fremden Raum.
Als sie an den ersten Häusern vorübergeht, spürt sie, wie sich ihr Rücken immer wieder krümmt, als ob sich ihr Körper kleiner machen wolle als er ist. Sie drückt ihr Becken nach vorne und die Schultern nach hinten. Dann geht sie weiter. Irgendwann bleibt sie stehen und blickt sich mit blinzelnden Augen um. Sie fragt sich, wer sie ist und warum sie hier gelandet ist.

Ein Text über eine junge Frau, die der Zeit und dem Moment, in dem sie lebt, entflieht, immer öfter, weil sie ihre Wurzeln wohl in einen anderen Raum hat … Ein Mensch, der der Zeit entflieht, um sich zu finden …
Sucht sie am Ende ihre Kindheit, die andere Wurzeln haben könnte?
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Vielleicht sucht sie gar nicht, zumindest nicht bewusst. Vielleicht wird sie getrieben, von inneren Kräften…
Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Gedanken, liebe Bruni…
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