Nein, er würde es nicht Liebe nennen. Nicht unbedingt, weil er nicht so empfindet; er tut es, er liebt, durchaus. Aber die Leute lassen sich in diesem Zusammenhang schnell in falsche Vermutungen und Argwohn treiben, wenn von Liebe die Rede ist. Trotzdem, er liebt sie, seine Dieffenbachia. Vielleicht sollte er doch von Liebe sprechen. Aber er wagt es nicht.
Er besitzt sie seit etwa einem Jahr. Gekauft hat er sie in einem Supermarkt, sie war gerade im Angebot, und er hat spontan zugegriffen. Häufig liegt im Zufälligen ein ungleich größerer Zauber als im Geplanten und Geordneten. Zu Hause stellte er die Pflanze zunächst ans Fenster, doch die Dieffenbachia schien sich nicht wohlzufühlen, sie blieb träge und traurig. Er stellte sie an die Wand neben der Tür, dann in eine Ecke, doch erst neben dem Bücherregal fand die Dieffenbachia offenbar Gefallen an ihrem Standort.
Er gießt sie regelmäßig, nicht zu oft und nicht zu selten. Hin und wieder stellt er sie auf den Balkon, damit sie die Freundlichkeit des Tages genießen kann, bemüht sich dabei aber stets, allzu große Temperaturschwankungen zu vermeiden, da dies der Pflanze nicht sonderlich behagen dürfte. Er hat sich spezielle Tücher gekauft, um die Blätter der Dieffenbachia zu säubern, und natürlich spricht er mit der Pflanze.
Er ist irgendwie stolz auf seine Dieffenbachia, sie lässt ihn lächeln, wenn er sie anschaut. Zugleich verspürt er aber auch ein gewisses Unwohlsein, nicht unähnlich dem Gefühl, das ihn ergreift, wenn er sich im Beisein von anderen Menschen ausziehen muss. So gerne würde er allen oder zumindest jemandem von der Dieffenbachia erzählen. Es gäbe zwar nicht viel zu berichten, aber es geht dabei ja auch um ein Teilen und Mitteilen; es wäre wertvoll, die Dieffenbachia erhielte mehr Substanz und Relevanz. Doch er schweigt, er spricht nicht über die Dieffenbachia, denn über Dieffenbachien spricht man nicht, zumindest nicht so, wie er gern über sie sprechen würde.
Wenn er sein Leben und seine Welt betrachtet und sich überlegt, was darin nicht stimmt, geht es natürlich nicht einfach nur um die Dieffenbachia. Auch wenn sie erstaunlich wichtig ist, stellt sie nicht sein Ein und Alles dar. Aber die Dieffenbachia ist ein Sinnbild, so scheint es ihm, ein Symbol für die seltsame Lücke, die sich zwischen ihm und den Leuten aufgetan hat.
Eines Tages bemerkt er dunkle Flecken auf den Blättern der Dieffenbachia. Er ist ein wenig erstaunt, hofft aber auf baldige Besserung. Doch schon am nächsten Tag sind die Flecken mindestens doppelt so groß und breiten sich aus. Die Blätter hängen matt und faul nach unten, sind an ersten Stellen schon ganz braun. Er versucht, die Pflanze zu retten, stellt sie nach draußen und in andere Ecken, geht mit der Dieffenbachia sogar zu einem Pflanzenfachmann, doch seine Bemühungen bleiben vergebens. Schließlich stirbt die Dieffenbachia, und er ist wieder allein.
Später starrt er immer wieder auf die Stelle neben dem Bücherregal und fragt sich, ob er sich eine neue Dieffenbachia kaufen soll. Er hat den Eindruck, dass diese Frage wichtig ist. Vielleicht zögert er deshalb mit der Antwort.

oh ja, traurig ist es, dann wieder alleine zu sein, sich alleine zu fühlen …
Sie ist wichtig, die Liebe zu einem anderen Wesen, sei es nun Hund, Katze, Pflanze oder ein Mensch, was das schönste wäre, aber das sollte wohl nicht sein, also blieb er allein…
Lieber Gruß von Bruni an Dich
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Ja, sie ist wichtig, man muss doch irgendwo hin mit seiner Liebe, seiner Zuneigung, sonst verkümmert sie doch nur… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte, liebe Bruni…
Und herzliche Grüsse zurück!
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*lächel*,wie schön hast du das gesagt. Genau so ist es und überall liegen die verkümmern Lieben herum…, lieber Disputnik.
Kein schöner Anblick
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Nein, wahrlich kein schöner Anblick, da hast du recht… Liebe Grüsse…
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Die Geschichte ist vollkommen nachvollziehbar. Wer weiß, wie vielen Menschen es ähnlich geht, die keinen Menschen haben, sondern sich an Hund oder Pflanzen klammern.
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Einsamkeit ist wohl eine der Seuchen der modernen Zeit… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte!
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