Du musst dein Zimmer aufräumen, du musst lesen, du musst schreiben, du musst Danke sagen, du musst höflich sein, du musst addieren und subtrahieren und multiplizieren und dividieren, du musst ein Instrument spielen, lieber Geige als Gitarre, du musst pünktlich sein, du musst lernen, du musst dir Mühe geben, du musst auf die Zähne beißen, du musst etwas aus dir machen, du musst erwachsen werden, du musst täglich fünf Portionen Obst und Gemüse essen, du musst dreimal täglich deine Zähne putzen, aber nicht nach dem Verzehr von Obst, du musst dich hübsch machen, du musst schlank werden, du musst schlank bleiben, du musst einen Beruf erlernen, du musst Einsatz zeigen, du musst still sein, du musst viel trinken, mindestens zwei Liter pro Tag, am besten Wasser oder Tee, natürlich ungesüßt, du musst früh aufstehen, du musst an dich glauben, du musst durchhalten, du musst eine eigene Meinung haben, du musst offen sein, du musst konsequent bleiben, du musst mit dem Rauchen aufhören, du musst treu sein, du musst sexy sein, du musst Geld verdienen, du musst dich stetig weiterbilden, du musst ein neues Smartphone kaufen, du musst immer erreichbar sein, du musst auf deinen Blutdruck achten, du musst liebenswert sein, du musst dich anpassen, du musst dich durchsetzen können, du musst Kompromisse machen, du musst dein Leben genießen, du musst mutig sein, du musst vorsichtig sein, du musst da durch, du musst das Positive sehen, du musst an dir arbeiten, du musst an andere denken, du musst lächeln, du musst Steuern bezahlen, du musst die Haare waschen, du musst nach vorne blicken, aber dann, irgendwann, bleibst du stehen, atmest durch, schließt die Augen, ballst deine Hände zu Fäusten, breitest dann deine Finger aus, öffnest deine Augen weit, gehst langsam los und wirst schneller, immer schneller, läufst immer weiter, bis du erschöpft innehältst und mitten im Wald stehst, ganz allein im kühlen Schweigen, und du schreist, so laut du kannst, aber niemand hört dich, nur ein paar Vögel schrecken auf, und dann ziehst du dich aus, ganz nackt, wirfst deine Kleider weit weg von dir und legst dich auf den feuchtwarmen Boden, blickst hinauf zu den Baumkronen und blinzelst jedes Mal, wenn die Sonne kurz durch das Blätterwerk dringt, du atmest ganz ruhig, du machst seltsame Geräusche, du röchelst und grunzt und schnarrst, du kicherst und bellst und stöhnst, du streckst deine Zunge weit aus deinem Mund, dann beginnst du, dich zu berühren, streichelst deine Brüste und deinen Bauch, deine Schenkel und deinen Hals, lässt deine Finger zwischen die Beine gleiten und bewegst sie sanft, aber zielstrebig, und später, als eine Ameise über deinen Arm krabbelt, lässt du sie gewähren, schaust ihr einfach zu, was ihr wiederum egal ist, du bist ihr nicht wichtig, du bist einfach da, und die Ameise eilt weiter, weg von deinem Arm, weg von dir, und du fühlst dich allein, aber nicht einsam, und dann stehst du auf, wirfst deinen Kopf in den Nacken, schlingst deine Arme um deinen Körper und stehst reglos da, im kühlen Schweigen, während der Wind die Zeit durch die Zweige und Äste bläst.

Jedes „du musst“ war schmerzhaft, von Anfang an, und ich hab nur weitergelesen weil ich wusste dass irgendwas tolles kommen muss, weil Du es bist, und es war viel schöner und befreiender als ich es mir hätte vorstellen können. Du darfst wieder leben lernen. Das müsste man mal in die Welt raus schreien …
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Dann schrei und leb! Deine Worte freuen mich sehr, vielen lieben Dank dir… Herzliche Grüsse…
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WUUUAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA!!!!!!!
… So, jetzt geht es mir besser 🙂
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Jaaaaa! Sehr schön!
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A bout de souffle…
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Dann durchatmen… Danke dir…
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„Die lange Latte des Müssens“ ist schon hier bei dir gigantisch!
Wie lang sie wohl tatsächlich ist?!
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Es gibt wohl Menschen, bei denen sie (in eigenen Augen) kein Ende nimmt…
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…bis zum oft bitteren Ende,
das aber eine gewisse Erlösung letzten Endes bringt…
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