Ein zäher Nebel hat die abendliche Landschaft durchdrungen, in der Dämmerung ragen Straßenlaternen und Bäume dunkel in die graue Masse, die Häuser schälen sich schemenhaft aus dem Dunst, wenn man sich ihnen genügend nähert. Die Welt reduziert ihre Ausdehnung, jede Weite scheint ausgemerzt.
Er fährt mit dem Auto über nahezu leere Straßen, der Blick klammert sich an alles, was greifbar ist, um sich orientieren zu können. Man fühlt sich einsamer, wenn man durch den Nebel fährt, obschon man auch an einem schönen Sommertag genau gleich allein im Wagen sitzen würde. Doch der Nebel, er raubt Bezugspunkte.
Er fährt etwas langsamer als üblich, trotzdem erkennt er Kurven relativ spät. Irgendwann fährt er über eine Brücke, die sich über ein tiefes Flusstal spannt, und etwa in der Mitte der Brücke erschrickt er. Da war ein Mensch auf der Brücke. Er ist sich vollkommen sicher. Ein Mensch, am Brückengeländer. Er will zunächst umgehend anhalten, doch auf der Brücke ist dies kaum möglich, es gibt keine Ausweichspur. Er nimmt sich vor, direkt nach dem Ende der Brücke anzuhalten, doch als er die Brücke hinter sich gelassen hat, bremst er nur kurz ab und fährt dann dennoch weiter, blickt lediglich nervös in den Rückspiegel, in welchem sich aber nur der Asphalt im zähen Nebelgrau verliert. Jede Gelegenheit, doch noch anzuhalten und umzukehren, lässt er ungenutzt. Er fährt weiter durch den Nebel, und für einmal ist er froh, dass ihn niemand sehen kann.
Irgendwann hält er doch noch an, sitzt in seinem Auto auf einem Parkplatz und überlegt, was er tun soll. Eigentlich überlegt er sich gar nichts, nicht wirklich. Er lässt lediglich Zeit verstreichen.
Als er wieder auf die Straße einbiegt, fährt er in die entgegengesetzte Richtung, fährt den ganzen Weg zurück bis zur Brücke, und als er die Stelle in der Mitte passiert, bremst er ab, fährt beinahe im Schritttempo und schaut ganz genau. Doch da ist keine Person zu sehen, nichts und niemand. Wenn da jemand war, und wer auch immer es war; er ist nicht mehr hier auf dieser Brücke.
Er beschleunigt wieder, und nach dem Ende der Brücke wendet er seinen Wagen, fährt nach Hause, und nun ist sie wieder da, die Einsamkeit im Nebel, noch mehr als sonst.
Er erzählt niemandem von der Person auf der Brücke, weder seiner Freundin noch seinen Eltern oder seinen besten Freunden. Aber er kauft sich in den nächsten Tagen jede Zeitung, hört alle Nachrichten im Radio, durchforstet das Internet, doch er erfährt nichts. Irgendwann ruft er von einer der letzten verbleibenden Telefonzellen der Stadt die Polizei an und erkundigt sich, ob bei der besagten Brücke vielleicht etwas geschehen sei, ein Suizid vielleicht. Der Polizist am Apparat weiß von nichts und fragt nach dem Grund seines Anrufs. Er zuckt zusammen, hängt rasch auf und eilt aus der Telefonzelle.
Er liest weiterhin den Regionalteil der Zeitung, die Todesanzeigen sowieso, doch er bleibt ratlos und unwissend. Wahrscheinlich war da überhaupt nichts, sagt er zu sich. Wahrscheinlich war niemand auf der Brücke. Und diese neblige Wahrscheinlichkeit, er schiebt sie durch seine Zeit und wird sie nicht los.
