Er erzählt von diesem Kater. Ein fürchterlich hässliches Tier, pelzig und dick und plump, mit einem garstigen Gesicht und einem unförmigen Knick im Schwanz. Er redet sehr dynamisch, wild gestikulierend und lebhaft, man kann den Kater förmlich sehen, und seine Geschichte, sie ist zwar traurig, aber man muss unentwegt lachen, denn schließlich geht es nur um ein Tier. Der Kater heißt Linkous, ist längst nicht so alt wie er aussieht, aber die Zeit ist mit scharfen Klingen und rostigen Nägeln an ihm vorübergegangen und hat entsprechende Spuren hinterlassen. Linkous setzt sich häufig neben die Schallplatten im Regal und stimmt kakophonische Wehklagen an, bis man einen Schuh nach ihm wirft. Dann wieder rennt Linkous wie besessen durch die Wohnung, schaut nicht nach links und nicht nach rechts, heult und taumelt, bis er irgendwann gegen einen Türpfosten knallt und benommen liegenbleibt. Manchmal isst Linkous tagelang gar nichts, nur um danach in kürzester Zeit eine ganze Familienpizza zu verschlingen. Und immer wieder springt Linkous auf das schmale Geländer des Balkons, obschon er wohl den am schlechtesten ausgeprägten Gleichgewichtssinn aller Katzenwesen haben dürfte. Häufig rutscht er mit einer Pfote weg oder verfehlt das Geländer gänzlich, tritt ins Leere und stürzt ab. Bisher landete er dabei glücklicherweise stets auf der Balkonseite, denn auf der anderen Seite würde er rund dreißig Meter fallen, bevor er von humorlosen Betonplatten gebremst werden würde. Er erzählt also von Linkous, erzählt von diesem Kater, der kontinuierlich irgendwo zwischen Wahnsinn und Todessehnsucht zu oszillieren scheint. Eine tragische Figur, aber doch so lustig, und man lacht, man lacht mitunter zu laut und zu lange, um das wiederholte leere Schlucken zu kaschieren, das sich nicht vermeiden lässt. Einmal geht man zu ihm nach Hause und klingelt, er öffnet die Türe und bittet hinein, doch Linkous ist nicht zu sehen, da sind keine Futternäpfe, keinerlei Spuren, doch man wagt nicht zu fragen, weshalb auch immer. In den folgenden Wochen nehmen die unterhaltsamen Erzählungen über Linkous allmählich ab, überhaupt sieht man ihn immer seltener, und als man ihm irgendwann wieder einen Besuch abstatten will, verhallt das Klingeln in der Stille hinter der Wohnungstüre, niemand öffnet, niemand bewegt sich. Als man überzeugt ist, dass es Linkous nicht gibt, es ihn nie gegeben hat, ist es längst zu spät, die rostigen Nägel, sie sind zu tief eingedrungen; man schluckt noch leerer als zuvor und muss husten.

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«It’s a wonderful life» von Sparklehorse / Mark Linkous
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Ich habe eine Katze.
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Schön. Ich hoffe, ihr geht’s gut.
Lieben Dank fürs Lesen!
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Ja, sie liebt unser Zuhause.
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Mir geht es gut.
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Armer Kater denk ich und an all die traumatisierten, aufgrunddessen verhaltensgestörten Menschen und Tiere, die mir schon begegnet sind.
Sie werden belächelt, weil sie sich so schlecht ignorieren lassen oder sie werden Kult.
Dein Linkous ist herzerreißend.
Ein Präzedenzfall sozusagen…
Liebe Grüße
von der Karfunkelfee
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Vielleicht gibt es ja noch andere Möglichkeiten als Belächeln und Ignorieren und Kult. Schön wär’s.
Vielen lieben Dank dir fürs das Herzzerreissenlassen und für deine Worte…
Liebe Grüsse zurück
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Ja, schön wär’s.
Dann tät’s das Herz nicht so fleddern. 😉
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♡
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Danke schön…
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oh, welch ungewöhnlicher Kater, einer zwischen Todessehnsucht und Wahnsinn mit einem Herrchen, das nichts anderes zu besitzen und zu berichten weiß und dann die Stille, die über die beiden hereinbricht, wie die homorlosen Betonplatten es getan hätten, hätten sie den fallenden Kater erwischt.
Nun ist es geschehen, aber es war noch viel schlimmer als das, was nur dem verrückten Linkous passiert wäre, das Leben verschlang beide, Mensch und Tier mitsamt den Wunden , die rostige Nägel schon lange gerissen hatten.
Was blieb übrig? Lähmendes Entsetzen fühle ich…was hätte es sonst noch geben können?
Warum nur denke ich an Edgar Allan Poe?
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(Hatte Poe eigentlich Katzen?) Vielen herzlichen Dank, liebe Bruni, für dein Lesen und für deine Worte, dein Hinein- und Weiterdenken…
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Erinnert mich irgendwie an Charles Bukowski. Und an einen Nachbarn den ich mal hatte. Es ist immer Achtsamkeit geboten, wenn das Lachen zu laut wird. Denn meist jeder vemeintliche Clown hat sich an zu vielen rostigen Nägeln meist verletzt…
Hach… was mag ich deine Schreibe…
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Herzlichen Dank! Und ich hoffe doch, der Nachbar ist durch einen Umzug in die Vergangenheitsform gerutscht und nicht aus anderen Gründen…
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Eher dann doch andere Gründe. Man fand ihn mehrere Wochen später. Ja, so ist das. Wie gern würd ich manchmal eine wändedurchschaubare Brille tragen…
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Manchmal können wohl auch Wunderbrillen nichts mehr ausrichten…
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So ist es. Und nicht jeder hat solch dickes Fell wie Linkous.
Schönen Tag dir…
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Eine Fabel in modernem Gewand. Kater sind keine Menschen. Und wenn, man könnte sie dafür halten. Leid ist Leid und wie tief der rostige Nagel ins Fleisch getrieben wird. Sehr eindringlich, ein wenig böse. Toll.
Freundlichst
Ihr Herr Hund, kein Hund.
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Nein, kein Kater ist ein Mensch wie du und ich, kein Hund ist ein Mensch, fürwahr. Vielen Dank, verehrter Herr Hund, fürs Lesen und fürs Eindringlich-Toll-Böse-Finden…
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Das war nicht schwer, zumal ich für Fabeln und Tiergeschichten eine Schwäche habe.
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Da schreibt einer, dem die großartigen Formulierungen nicht ausgehen.
„bevor er von humorlosen Betonplatten gebremst werden würde“
Diese und so viele andere machen das Lesen zu einem Vergnügen, wenn einem auch dabei der rostige Nagel im Hals stecken bleibt.
Danke fürs Aufschreiben.
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Ich habe zu danken, fürs Lesen und für deine Worte und überhaupt, trotz des rostigen Nagels… Danke!
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