Vielleicht war es Teleportation. Vielleicht ist es ein Traum. Vielleicht ist es eine Illusion. Sie weiß nicht, wo sie eigentlich ist und warum, aber nun steht sie hier, irgendwo im Nirgendwo. Da sind Bäume und Grashalme, da sind der Himmel und einige Wolken, da sind Hügel und Kanten im Gelände, da sind die Düfte und die Schwerkraft, da ist alles vorhanden und zugegen, es umgibt sie, aber das ist alles nicht echt, das kann nicht echt sein. Die einzige Stimme, die sie zu hören vermag, ist ihre eigene, und das einzige Geräusch außer eben dieser Stimme ist ihr Atem, ihr schwerer Atem, der hin und wieder stockt. Das ist zu wenig, viel zu wenig, sie ist sich selbst nicht genug, bei weitem nicht, und trotzdem redet sie beinahe unaufhörlich mit sich selbst, leise und stammelnd, mit stolpernder Zunge. Sie hat sich nichts zu sagen, leere Worthülsen fallen zu Boden, manchmal sind es lediglich gutturale Laute, doch das genügt, alles genügt, solange die Stille übertönt wird und nicht zu hören ist. Die Stille. Sie erzählt vom Fehlen, von inneren Fehden, sie erzählt von der Leere und von der Reglosigkeit. Stille Zeit kann sich nicht bewegen, hängt starr im Nichts. Irgendjemand hat ihr erzählt, dass bei Menschen, denen ein Sinn fehlt, die anderen Sinne umso empfindsamer und stärker ausgeprägt sind. Alles, was sie empfindet, und alles, was bei ihr stärker ausgeprägt ist, jetzt, da sie absolut nichts hören kann, ist die Angst. Sie hat Angst vor den ungewissen Konturen der Stille, vor den Dingen, die sich darin verbergen und verstecken. Sie hat Angst vor dem Knacken im Gebüsch, doch noch mehr fürchtet sie, dass es ausbleibt. Der Daumen zittert, sie denkt an ihr Smartphone, ihr fehlt das Gefühl, es in den Händen zu halten. Sie ist sich der gesellschaftlichen und medialen Konditionierung bewusst, sie kennt die Fallen des modernen Alltags und ihre Bereitwilligkeit, ohne zuckende Wimpern hineinzutappen. Ihre Welt lässt keinen Platz für Stille, und jetzt, inmitten der Stille, hat sie keinen Platz in der Welt. Oder die Welt keinen Platz in ihr. Sie zetert und faselt, presst Wörter durch die Zähne, schichtet sie weiterhin zu Sätzen ohne Sinn. Der Mund wird trocken und taub, jeder Buchstabe scheint Furchen zu ziehen, und irgendwann vermag sie nur noch zu röcheln, hört aber trotzdem nicht auf. Sie weiß nicht, wo wie eigentlich ist und warum, aber nun steht sie hier, irgendwo im Nirgendwo. Und redet gegen die Stille.

Ein verbales Stillleben der allerfeinsten Sorte ist dir hier gelungen, lieber Disputnik,
und das auch noch zum Thema Stille (und Angst und überall und nirgendwo…)
beeindruckend und zauberschön zugleich!
Liebe Nachtgrüße
vom Finbar
LikeLike
Herzlichen Dank, lieber Finbar, das freut mich sehr, dass du Gefallen dran gefunden hast… Schöne Nacht- und Morgen- und Sonntagsgrüsse zurück…
LikeLike
unerträglicher Gedanke, daß die Stille unerträglich werden kann.
Die Stille, die gut sein soll, zum Regernerieren taugen soll – sie soll unerträglich sein?
Ja, kann sein, doch bedeutet das wohl auch, daß im eigenen Inneren ständig nur Leere herrscht,
die gewöhnlich mit den Außengeräuschen gefüllt werden kann.
Fallen diese weg, entsteht ein tiefes schwarzes Loch, in dem sich die Stille fängt und diese
füllt nun aus wie eine große überschwappende Angst und der, der sie fühlt, ist nur noch eine
einzige angstschlotternde Hülle. Eine schrecklich Vision…, aber wie eindrücklich von Dir
dargestellt, lieber Disputnik
LikeLike
Vielen Dank dir, liebe Bruni! Ja, die innere Leere mit Aussengeräuschen füllen, wunderbar umschrieben, doch das Gegenteil von wunderbar, wenn man genau das tut, tun muss, irgendwie… Nochmals Danke und liebe Grüsse…
LikeLike
ich glaube, wenn es soweit gekommen ist, wenn nur noch Leere in einem herrscht, nur noch das Äußere wichtig ist,
dann hat die Leere schon ihren Sieg errungen und das eigene Ich bezwungen.
LikeLike
Es muss aber nicht immer endgültig sein, kein absolut endgültiger Sieg der Leere, oder? Nochmals lieben Dank für deine Gedanken und weiterhin ein schönes Wochenende…
LikeLike
Sehr schöner Text. Zur Feststellung des Ortes, wo man sich befindet, bedarf es, irre ich mich, doch zumindest noch einen Punkt außerhalb meiner selbst, zu dem ich meinen Standpunkt in Beziehung setzen kann. Und ohne diesen, ist es, wie von Ihnen sehr dicht dargestellt.
Und zur Stille. Kennen Sie Hägar den Schrecklichen, den Comic? Eine kurze Geschichte daraus, in der Sven Glückspilz die Frage stellt, wenn im Wald ein Baum umfällt und keiner ist da, der es hört, gibt es dann ein Geräusch?
Freundlichst
Ihr Herr Hund
LikeLike
Ganz abseits von allem und unahängig von diesem hier; ich mag Ihre Kommentare sehr. Herzlichen Dank!
Ja, zur Positionsbestimmung braucht es mehr als nur sich selbst, es braucht auch ein Umfeld, um sich zu orientieren. Zwischenfrage 1: Muss man die eigene innere Mitte ausserhalb suchen? Und dann, ja, Hägar kenne ich, mochte ich früher sehr, würde ich wohl noch immer mögen, und die Frage, sie ist wohl auch ausserhalb der Wikingerbande geläufig. Was meinen Sie? Wo entsteht ein Geräusch? Erst im Ohr? Und was ist es davor? Zwischenfragen 2 und 3: Wie halten Sie es mit der Stille? Und halten Sie sie aus?
Nochmals Danke. Und freundliche Grüsse.
LikeLike
Guten Morgen.
Zu 1.: was soll ich sagen? das eigene Ich ist natürlich nicht irgendwo auf weiter Flur zu finden, aber Grenzen, meine, die des anderen, überhaupt. Und diese Grenzen geben einen guten Anhaltspunkt, denke ich. Es ist auf jeden fall ein Thema, das ausführlicher behandelt sein will.
Zu all den anderen Fragezeichen: ich nehme mir für den Moment die eine mit der Stille, ersetze Stille durch Ruhe und antworte, selten. Bisweilen gelingt es mir, mich zu versenken, wie abwesend zu sein. Ansonsten, da ich im Übrigen das Gefühl habe, einiges aufholen zu müssen, befinde ich mich eher auf einer Reise, um diesen meinen Ort der Stille zu finden. Das ist alles in der Ordnung, regt diese Reise ja auch zu mancherlei an.
Freundlichste Grüße
Ihr Herr Hund
P.S. die Lektüre der Leseprobe ist beendet, das Feedback folgt in Kürze.
LikeLike
Das klingt gut, irgendwie, in der Ordnung, Ihre Reise, ein wichtiger Weg, und ja, wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen, das gilt ja nicht nur für Wanderurlaube und Atlantiküberquerungen… Schön. Und gut.
Herzlichen Dank! Und schöne Grüsse zurück…
LikeLike
Sehr gut auf den Punkt gebracht.
LikeLike
Vielen Dank dir, liebe Candy!
LikeLike