Sie mag die manchmal schroffen, dann wieder sanft gerundeten Körper. Sie mag die Dichte, die Masse, das Gewicht. Sie mag die Konsistenz. Sie mag das Aussehen, die Form, die Färbung. Flüssigseife ist ihr zuwider. Flüssigseife ist alles, was in der Welt verkehrt läuft. Es gibt selten ein absolutes Richtig und ein absolutes Falsch. Bei Seife schon. Richtige Seife hat Charakter, hat ein ganz eigenes Gepräge, hat Rückgrat. Die Vielfalt der Düfte, Formate und Farben mag verwirren, aber dahinter steckt in jeder Ausführung immer eine unbeirrbare Klarheit, eine Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit. Jetzt hält sie eine neue Seife in ihrer Hand, frisch ausgepackt, noch gänzlich rein und unverbraucht. Sie liebt diesen Moment, glaubt darin sogar jenen Zauber zu erkennen, von dem Goethe schrieb, auch wenn er dabei nicht Seife im Sinn gehabt hatte. Sie hat diese Seife zum ersten Mal gekauft. Sie war ziemlich günstig, in schlichtem Papier eingepackt, sie ist unscheinbar in Haptik und Optik und wirkt durchaus ein wenig austauschbar. Sie dreht das Wasser auf, lässt es einige Sekunden laufen und beginnt, die Seife zwischen ihren Händen zu wenden und zu reiben, sorgsam und gelassen, beinahe stoisch. Eine dünne Schicht bildet sich, ein feiner Schaum. Sie sammelt ihn in ihren Handflächen, zusammen mit einigen Tropfen Wasser, hebt die Hände zum Gesicht und benetzt es mit dem Seifenwasser. Der Duft der Seife, er war bisher nur sehr vage erkennbar geblieben, doch jetzt, zwischen den Handflächen und der Gesichtshaut, entfaltet er sich. Sie atmet ihn ein, diesen Duft, atmet ihn tief in sich hinein. Es dauert einige Sekunden. Sekunden der Ungewissheit, Sekunden im Niemandsland. Dann verharrt sie, erstarrt wie eine Statue, versteinert und reglos und kalt. Es braucht keine Worte, um sich zu erinnern, keine Bilder, keine Klänge. Manchmal genügt ein Duft. Die Nase ist ein Elefant. Und nun steht sie da, vibrierende Knochen unter dünner Haut, noch mit Seifenresten im Gesicht und den Gedanken dahinter, Gedanken an jene Momente im Schatten, an das scheinbar endlose und stets vergebliche Waschen und Scheuern und Schrubben danach, und immer der Duft dieser Seife, ein Duft des Scheiterns, der Täuschung, denn er verstärkte das Wissen um den Schmutz nur noch mehr. Jetzt hört sie das Rauschen des Wassers, obwohl sie den Hahn wieder zugedreht hat, und im Gesicht winden sich schmale Rinnsale durch den Seifenschaum. Der Elefant ist überall. Es gibt kein Verstecken, kein Verschwinden, kein Ende. Es hört erst auf, wenn sie nicht mehr atmet.

Genau so ist es. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Sehr eindringlich beschrieben. Danke. Schönes Wochenende. Melanie
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Vielen Dank, liebe Melanie, fürs Lesen und für deine Worte… Dir ebenfalls noch ein schönes Restwochenende…
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…und manchmal genügt ein Duft.
Wie richtig ist es, wie sehr weiß ich es. Ich liebe Düfte und kann andere nicht ausstehen, wenn sie schlechte, ungute Erinnerungen wecken…. Mir gleichgültige gibt es auch, es sind die, die ich nicht mal beschreiben könnte *g*, weil ich sie sofort vergesse.
Bei der Seife bin ich auch der Verfechter der Seifenstücke und Flüssiges, das behauptet, Seife zu sein, nehme ich nicht ernst….
Bei Deinem Text geht es um das Erinnern und ich kann es mir vorstellen, wie sie erstarrt, als sie diesen Duft erkennt und wie alles über ihr hereinbricht, was sie nie vergessen wird, selbst wenn sie es sich mit der ganzen Kraft ihrer Seele wünscht.
Es klappt nicht, denn es ist eingebrannt, in die Tiefe ihres Ichs, diese Schmach, die sie fühlen wird bis an ihr Lebensende, diese so überaus grausame Erniedrigung
und nie werde ich begreifen können, wie wenig sich der Mensch doch von seiner Primitivität entfernt hat, wie schnell kommt sie zum Vorschein und wie sehr leiden Frauen darunter . Nichts hat sich geändert bis heute.
Alles ist wie es immer war, seitdem es den Menschen auf der Erde gibt.
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Vielen Dank für dein Lesen, deine Worte und dein Weiterhineindenken, hinein in das Erinnern… Ich find’s faszinierend, wie längst nicht alle, aber vereinzelte Düfte Erinnerungen hervorrufen können, schön oder unschöne… Und ja, das vergebliche Vergessenversuchen, die eingebrannten Wunden; die Geschichten dahinter, sie sind und bleiben unbegreiflich… Nochmals lieben Dank dir und schönes Wochenende…
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Zufällig und interessant, wenn man es möchte, haben wir uns heute mit „Ähnlichem“ beschäftigt.
Doch wenn auch nicht, schön, Ihren Text zu lesen. Und wie immer. Gut.
Freundlichst
Ihr Herr Hund.
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Ach, wie schön, die kleinen Zufälle, lieber Herr Hund, mit Aalen im Ohr sogar noch schöner… Herzlichen Dank dafür!
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