Was ist schon Wahrheit, sagt er, und zuckt mit den Schultern, und womöglich weiß er es tatsächlich nicht. Er wischt sich ein wenig Staub vom Hemd, vielleicht sind es auch Hautschuppen. In einem merkwürdigen Automatismus sieht er den Zerfall, ohne sich darüber Gedanken zu machen.
Sie lässt ihre Finger über die Haut gleiten. Sie ist kalt und glatt wie Porzellan, doch wenn sie mit dem Daumen Druck ausübt, gibt die Haut nach. Ihr Blick fällt auf etwas Weißes, das auf dem Boden liegt; eine Scherbe, ein Bruchstück der Tasse, die sie am Tag zuvor in eine Ecke geschleudert hat. Sie weiß nicht mehr genau, warum sie es getan hat.
Er kippt das Proteingetränk in seinen Rachen und schluckt heftig. Der Geschmack erinnert ein wenig an Bananen. Er spannt seine Brustmuskeln an, entspannt sie wieder, spannt sie erneut an. Seine Finger krümmen sich, formen eine Faust, an den Knöcheln wird die Haut glatt und verfärbt sich weiß. Dann schlägt er sich wuchtig auf die Brust.
Während sie vor dem großen Spiegel in ihrem Schlafzimmer steht, zieht sie ihren Bauch ein, als hätte sie Angst, ansonsten keinen Platz im Spiegelbild zu haben. Manchmal sagt man ihr, sie habe eine gute Figur, dann bedankt sie sich für das Kompliment und lächelt ein wenig stolz. Wenn sie allein ist, muss sie nicht lächeln.
Er blickt aus dem Fenster und sieht seinen dicklichen Nachbarn, bekleidet mit einem farbigen Trainingsanzug und Plastiksandalen, wie er die Zeitung aus dem Briefkasten holt. Penner, zischt er und schüttelt dann lachend den Kopf. Er öffnet das Fenster und wartet darauf, dass der Nachbar ihn bemerkt.
Sie trägt Lidschatten auf und zupft sich mit einer Pinzette eine Braue aus dem Gesicht. Manchmal ertappt sie sich dabei, wie sie einfach in den Badezimmerspiegel starrt, minutenlang. Hin und wieder blinzelt sie, dann blickt sie wieder gebannt, als würde sie einer außergewöhnlichen Entdeckung auflauern oder ein Ereignis erwarten. Wenn sie danach dann den Spiegelschrank öffnet, ist sie erstaunt, wie viele Dinge sich darin befinden.
Ein Sandsack schwingt hin und her, lautlos und stetig. Er ist einen Schritt zurückgetreten und versucht, sein erschöpftes Schnauben zu kontrollieren. Irgendwann hält er den Atem an und erträgt das Rauschen in den Ohren so lange, wie es geht. Dann atmet er aus, atmet ein und hebt seine Fäuste wieder, bereit zum Kampf.
Ich liebe dich, flüstert sie in die Dunkelheit ihrer warmen Wohnung, obwohl sie weiß, dass niemand sie hören kann. Sie meint keine bestimmte Person und auch nicht sich selbst. Sie mag einfach den Klang der Worte.
Er sitzt auf seiner Bettkante, hinter ihm liegt der schlafende Körper einer Frau, deren Namen er in absehbarer Zeit vergessen haben wird. Während sie leise schnarcht, vergräbt er sein Gesicht in seinen Händen und beißt auf seine Unterlippe. Irgendwann hört er ein Knacken in seinem Kopf, dann spürt er ein Stechen in der Brust. Das geht wieder weg, denkt er. Das geht wieder weg.
Sie liegt in einem fremden Bett, neben ihr schläft ein Mann, dessen Namen sie in absehbarer Zeit vergessen haben wird. Während er leise schnarcht, bedeckt sie ihr Gesicht mit ihren Händen und beißt auf ihre Unterlippe. Irgendwann hört sie ein Knacken in ihrem Kopf, dann spürt sie ein Stechen in der Brust. Das geht wieder weg, denkt sie. Das geht wieder weg. Dann schläft sie ein.

Du hast recht, lieber Disputnik, ich bin absolut sicher, dass die Menschen noch niemals mehr Wert auf ihre „Verpackung“ gelegt haben, als heute,
und das macht mich sehr traurig,
vor allem natürlich, weil sie nun alle anderen Menschen, daraus resultierend, auch fast nur noch nach dem Äußeren einschätzen…
Das ist sehr bitter!
Denn die Menschheit war da schon mal deutlich weiter…
Liebe Wintersonnengrüße vom Finbar
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Jaha, manche Menschen investieren immer mehr Zeit in immer unwichtigere Dinge…
Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte…
Und ganz herzliche Grüsse zurück
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Das war auch da, aber alles Zusätzliche prägte sich mir mehr ein *schmunzel*
LG von mir
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Schön, umso mehr… Vielen Dank und liebe Grüsse…
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Du meinst, so könnte auch eine Werbung ausssehen?
Viele Sequenzen, jede anders, mal ein männliches, dann wieder ein weibliches Wesen.
Am Ende treffen sich ein Mann und eine Frau am gleichen Ort und jeder fühlt ein sehr ähnliches Gefühl wie der/die andere, wenn sich Endliches bemerkbar macht?
Nicht schlecht finde ich diese Idee, aber soll sie für das Leben an sich werben und auf die letztendliche Ähnlichkeit aller Wesen hinweisen, trotz aller krassen Unterschiede?
LG von Bruni
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Mir ging’s wohl eher darum, dass manche mit einem blendenden Äusseren werben (um Gunst oder Herzen oder wasauchimmer) und derweil das Innere vernachlässigen. Die Verpackung wird wichtiger als der Inhalt. Oder so. (Vielleicht war’s irreführend.)
Vielen herzlichen Dank dir, liebe Bruni, fürs Lesen und für deine Gedanken. Und liebe Grüsse zurück…
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