Sie schiebt die beiden weißen Frottiertücher auf der Stange zurecht, zupft an einer Ecke noch ein wenig. Dann tritt sie einen Schritt zurück, schaut prüfend, schließt das linke Auge, öffnet es wieder, schließt das rechte Auge, öffnet es wieder. Sie nickt kurz und verlässt das Badezimmer.
Ein Mann namens Sebastian ruft an. Er will wissen, wie es ihr geht, hört ihr zu, dann fragt er, ob sie ins Kino gehen möchte, oder ins Theater, oder etwas trinken. Es geht ihm nicht um den Film, nicht um das Stück, wahrscheinlich hat er auch gar keinen Durst. Es geht ihm um sie, das weiß sie, hat es längst bemerkt. Sie mag Sebastian durchaus, mag ihn sogar sehr, er ist humorvoll und klug, charmant und liebenswert, sieht gut aus, und doch, irgendetwas fehlt, nur etwas Kleines wohl, doch es genügt, damit er nicht genügt, ihr nicht genügt, irgendwie. Sie sagt, sie sei müde, vielleicht ein anderes Mal, dann legt sie auf.
Immer wieder entdeckt sie Streifen und kleine Flecken, vor allem an den Kanten und Abschlüssen, wo das Glas in den Fensterrahmen übergeht. Sie sprüht eine weitere Dosis des Reinigungsmittels auf, reibt die Scheibe trocken, prüft das Ergebnis, sucht die Ecken nach Rückständen und Schmutzresten ab. Manchmal flucht sie, weil sie immer wieder irgendwo etwas findet, was den Blick leicht trübt. Irgendwann hört sie auf, die Fenster zu putzen, obschon sie nicht den Eindruck hat, fertig zu sein.
Im Büro fragen die Arbeitskollegen, ob sie auch noch kurz auf ein Bier ins Pub an der Straßenecke komme. Sie lächelt und bedankt sich, lehnt dann aber ab und sagt, sie müsse noch etwas fertigstellen. Die anderen meinen, das habe doch Zeit bis morgen, aber sie schüttelt den Kopf und erwidert, das sei eben wichtig, sie wolle es vom Tisch haben. Schließlich verabschieden sich die Kollegen, auch der Chef geht, und sie bleibt allein zurück, im kalten Neonlicht des Büros, während draußen die Dunkelheit erwacht.
Sie mag es nicht, wenn ihr Make-up verschmiert. Manchmal steht sie abends vor dem Spiegel im Badezimmer, hinter ihr die akkurat platzierten Frottiertücher auf der Stange. Sie mustert die Streifen und Flecken auf ihrem Gesicht, die zerronnene Schminke. Dann beißt sie sich auf die Unterlippe, starrt sich selbst in die Augen. Sie schüttelt den Kopf und verlässt das Badezimmer.

Ich bin Fotograf, ich mag das Bild… 🙂 Und erst recht die dezente Bewegungsunschärfe…
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Schön, dass es dir gefällt! Vielen Dank dir…
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Hui! Das mag ich sehr!
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Das freut mich sehr! Danke!
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Sie wird es wohl sehr schwer haben, lieber Disputnik, in unserer Gesellschaft „den richtigen Partner“ zu finden…
Grandios eingefangen und formuliert, diese Art von „Perfektion“…
Liebe Novembergrüße vom Finbar
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Für sie, die keine Fehler erlauben mag, gibt es den „Richtigen“ wohl gar nicht. Dabei ist doch grad das Unperfekte häufig so wundervoll…
Vielen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte, lieber Finbar, und herzliche Grüsse zurück!
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