Gehen und bleiben.

Da ist ein Totenkopf, auf einem Bild an einer Wand, da ist dieses knöcherne Etwas, das früher zu einem Menschen gehörte, zu einem Leben, zu tausend Gedanken und tausend Erinnerungen, und man fragt sich, was bleibt, wenn ein Mensch geht. Man fragt sich, wie viel von einem Menschen stirbt und ob etwas weiterlebt und wie … Weiterlesen Gehen und bleiben.

Im Freibad.

Er war wohl noch ein Kind, als er zum ersten Mal mit dem Gedanken spielte, es zu tun. Wahrscheinlich lag er mit seinen Freunden auf dem akkurat geschnittenen Rasen, und man sprach darüber, machte lapidare Sprüche. Auf die meisten seiner Altersgenossen schien der Gedanke keine Anziehungskraft auszuüben, doch er war umgehend fasziniert von der Vorstellung. … Weiterlesen Im Freibad.

Zu Fall.

Die Straße ist unübersichtlich, die Kurven eng und der Fahrer des entgegenkommenden Wagens handelt zutiefst fahrlässig, als er die Kurve schneidet und weit auf die Gegenfahrbahn gerät, wo er ihm auf seinem Motorrad entgegenfährt, in beträchtlichem Tempo, aber zumindest auf der richtigen Fahrbahnseite, was allerdings kein Trost sein dürfte, wenn Auto und Motorrad ineinander geprallt … Weiterlesen Zu Fall.

Kaputt.

Ein Mann erzählt, wie sein Vater starb. Er ist verreckt, sagt er. Erbärmlich verreckt. Am Ende war er nur noch Haut und Knochen, nur noch Haut und Knochen. Ganz bleich, die Haut wie Papier, oder nein, wie Gips. Als er endlich starb, war er schon lange nicht mehr am Leben. Er redet über den Vater … Weiterlesen Kaputt.

Eine Busfahrt.

Die Busse klingen anders als früher. Sie knattern und dröhnen nicht mehr, sie röcheln und husten nicht mehr. Heute hört man ein tiefes Brummen und ein hohes Sirren, das immer wieder anschwillt und abklingt. Mehr nicht. Alles andere wird unterdrückt, und dieses Unterdrücken ist anstrengend, so scheint es. Jedes Mal, wenn der Busfahrer an einer … Weiterlesen Eine Busfahrt.

Ein Leben.

Bei deiner Geburt ist die Nabelschnur eng um deinen Hals gebunden, wie ein dünner Schal oder ein Krawatte, wie ein Tau, und als du zur Welt kommst, tust du es ganz still und dunkelrot, nahezu blau, und eigentlich könnte dein Leben enden, bevor es beginnt, doch der Arzt gibt sein Bestes und sein Bestes ist … Weiterlesen Ein Leben.

Spurlos.

Mitten in der Nacht wacht sie auf, gerät in einen Dämmerzustand und hat das Gefühl, dass jemand neben ihr liege. Es ist nicht unangenehm, dieses Gefühl, doch als sie realisiert, dass es eigentlich gar nicht möglich ist, dass jemand bei ihr im Raum ist, zuckt sie zusammen und reißt die Augen auf. Sie blinzelt in … Weiterlesen Spurlos.

Die Schattenmänner.

Man sitzt in diesem kleinen Warteraum beim großen Bahnhof. Gegenüber sitzt ein junger Mann mit riesigen Kopfhörern, sein Blick klebt auf dem Smartphone in seinen Fingern, sein Gesichtsausdruck erzählt von Konzentration oder von Gleichgültigkeit, es ist schwierig zu beurteilen. Draußen geht die Welt unter, vielleicht ist es auch einfach nur ein ganz normaler Dienstag, man … Weiterlesen Die Schattenmänner.

Neun Augenblicke.

Ein Mann fährt allein in seinem Mitsubishi auf der Autobahn, als er ein anderes Fahrzeug überholt, an dessen Steuer ein Mann sitzt, der genau gleich aussieht wie er, zumindest der Kopf und das Gesicht scheinen identisch; sogar der leichte Knick im Nasenrücken ist da, und während sich die Blicke der beiden Männer treffen, gerät der … Weiterlesen Neun Augenblicke.

Leichenwagen.

Er steht neben dem toten Körper. Das Wort Leiche widerstrebt ihm. Es wirkt so leer, so unpersönlich. Es klingt wie etwas, das nicht mehr funktioniert. Natürlich trifft dies eigentlich auch zu. Trotzdem möchte er den toten Körper nicht Leiche nennen. Auch wenn es nur eine Taube ist. Nur eine Taube. Nur. Die Beine ragen wie … Weiterlesen Leichenwagen.

Er steigt aus.

Zuerst glaubt er, ein leises Rauschen zu hören, als würde Luft aus einem Fahrradreifen entweichen. Es kommt nicht von draußen, es ist nur in seinem Kopf, denn wenn der Mann die Handflächen fest auf seine großen Ohren drückt, bleibt das Geräusch unverändert. Er wird ein wenig unruhig, blickt sich vorsichtig um, doch die anderen Passagiere … Weiterlesen Er steigt aus.

Einhorn.

Selbst wenn immer wieder ein Sturm im Wasserglas tobt, spielt es irgendwann keine Rolle mehr, ob es halbvoll oder halbleer ist. Am Ende ist es ausgetrunken, der grimmige Barkeeper hat längst die Stühle auf die Tische gestellt und draußen wartet die Nacht. Am Ende ist es egal, wie lange man das Einhorn gejagt hat. Kein … Weiterlesen Einhorn.

Es wird eng.

Es ist laut, schrecklich laut, es wird gebaut, zwischen den Rippen steht ein Kran, ein Bagger rumpelt über das Geröll im Kopf. Das Haus steht schon lange, und man sieht, dass es ein gutes Haus ist, doch noch immer wird gehämmert und gesägt, geschliffen und gemalt. Manchmal fragt er sich, wohin das alles führt und … Weiterlesen Es wird eng.

Abhandenkommen.

Irgendwann werde ich nicht mehr da sein, sagt sie, und man kann kaum überrascht sein, auch wenn man leer schluckt und erfolglos nach Worten ringt. Es ist eine biologische Tatsache, unabwendbar und nachvollziehbar, außerdem kenn man den Satz seit Jahren, Jahrzehnten, hört ihn immer wieder aus ihrem Mund, manchmal seltener und beiläufiger, manchmal häufiger und … Weiterlesen Abhandenkommen.

Großmutter ist müde.

Genug ist genug, sagt die Großmutter, ich bin müde, ich bin lebensmüde, und dann lacht sie kurz und wirkt dabei wie ein Kind, sie mag die Doppeldeutigkeit von Lebensmüdigkeit, auch ist sie gern amüsiert, das war schon immer so, sie war stets ein ziemlich fröhlicher Mensch, trotz allem, neben den Narben immer die Lachfalten, doch … Weiterlesen Großmutter ist müde.

Drei belanglose Sätze.

Es ist wohl belanglos, doch womöglich auch nicht, ihr ist sehr häufig schwindlig, vielleicht stimmt etwas mit dem Kreislauf nicht, vielleicht sollte sie zum Arzt, vielleicht ist sie ernsthaft krank, vielleicht ist sie auch einfach unterzuckert oder übermüdet, doch eben, vielleicht auch nicht, und sie hat Angst davor, tatsächlich zu erkranken, sie hat Angst vor … Weiterlesen Drei belanglose Sätze.

Die Lüge der Zeit.

Manchmal hört er die alten Lieder. Einige klingen seltsam dumpf, als spielte man sie in einer Höhle oder unter einer Decke. Andere hingegen hallen im Innern wieder, der ganze Körper ist ein Resonanzkasten, alles ist so präsent, so gegenwärtig. Musik, wie auch Filme oder Bücher oder Bilder, sie altern nicht linear und gleichmäßig. Er ist … Weiterlesen Die Lüge der Zeit.

Explosion.

Irgendwann fällt man vom Rad und bleibt liegen. Kein Knall, kein Geräusch, nur eine stumme Explosion, eine Detonation ohne Ton. Da werden Tage gestapelt, Wochen und Jahre, ein bunter Haufen aus Lebensfragmenten, man nimmt alles mit und speichert es ab, es sammelt sich an und häuft sich. Man baut sich ein Haus, man baut sich … Weiterlesen Explosion.